So sieht’s aus: Bitte nicht den KVP mit Innovation verwechseln28 | 04 | 21
Mit dem Begriff Innovation gingen wir in den letzten Jahrzehnten sehr großzügig um. Denn Innovation ist ein überwiegend positiv belegter Begriff. Viele Organisationen und viele Menschen wollen innovativ sein und als innovativ gelten. Innovationen verschaffen Marktvorsprünge, Innovationsarmut gefährdet, mithalten zu können.
Innovationen verändern heute Gesellschaft und Wirtschaft, Unternehmen und Privatleben so schnell und weitreichend wie nie zuvor. Das Produkt aus Innovationszahl, -tiefe und globaler Verbreitungsgeschwindigkeit ist größer als jemals zuvor in der Menschheitsgeschichte. Für fast alle Unternehmen erzeugen die Innovationen alter und neuer Wettbewerber einen hohen Innovationsdruck und viele müssen selbst innovativer werden als sie es bisher waren.
Wie stehen Qualität und Innovation zueinander? Sehr vereinfachend gesagt ist Qualität das Gute und Innovation das Bessere. Es gibt zwei Arten, Besseres zu erzeugen. Zum einen lässt sich vorhandenes verbessern. Darüber hinaus lässt sich Neuartiges schaffen, welches das bisherige Gute ablöst.
Das Innovationspotenzial des Neuartigen ist allerdings meistens größer als das des Verbesserten. Verbesserung fällt mit zunehmender Reife immer schwerer. Es ist typisch, dass bei der Verbesserung mit wachsendem Qualitäts- und Reifegrad immer kleinere Verbesserungsschritte immer größere Ressourcen erfordern. Die treffende Bezeichnung dafür ist ausgereift.
Bei Neuartigem verlassen wir bestehende Entwicklungspfade und betreten neue Lösungsräume. Bereits mit der unausgereiften Innovation in Form eines MVP (Minimum Viable Product) können wir etablierte, ausgereifte Lösungen übertreffen. Und dann steht uns ja wieder die Möglichkeit der Reifung durch kontinuierliche Verbesserung offen, die zunächst sogar in großen Schritten erfolgen kann, bis wir auch hier die Potenziale weitgehend erschöpft haben.
Es spricht also viel dafür, im Streben nach Innovation auf das Neuartige, anstatt auf das Verbesserte zu setzen. Auf Disruption statt auf den kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP). Erst Innovation, dann KVP kann die vereinfachte Formel lauten.
Das ist für das Qualitätsmanagement ein Paradigmenwechsel. Kontinuierliche Verbesserung ist eines der stärksten, klassischen Paradigmen des Qualitätsmanagements. Im Kontext einer hohen Innovationsnotwendigkeit kann das Streben zum KVP aber verhindern, angemessen disruptiv zu werden.
Die Grafik zeigt auf, dass hohe Innovation zunächst einmal nur eine minimale Qualität beinhalten kann. Die Erhöhung des Qualitätsgrades und der KVP hingegen brauchen Zeit. Andererseits sinkt mit der Zeit der Innovationsgrad. Die Innovation ist jung und unreif, die Qualität gereift und alt. Die Innovation durchbricht oder disruptiert den kontinuierlichen Verbesserungsprozess und startet ihn ganz neu. Innovation steht am Anfang, Qualität am Ende des KVP.
Über den Autor: Benedikt Sommerhoff

Ab wieviel Delta zum Bestehenden kann was Innovation genannt werden?
Kann man Innovation wirklich deutlich von Verbesserung abgrenzen? Ich meine, nein!
Laut meinen Recherchen haben nur etwa 2% aller sog. Innivationen einen disruptiven Neuheitsgrad.
Der „Rest“ sind für den Kunden, am besten für die Gesellschaft, nützliche innovative Verbesserungen.
Ich bin dafür, den KV-Prozess der Innovation nicht gegenüberzustellen.
Völlig richtig, Herr Schlenzig, Innovation und KVP müssen, sollen und dürfen Hand in Hand gehen. Meine Intention ist, unsere Ambition zu verstärken, immer wieder mal auch neue Lösungsräume zu betreten. KVP erschwert das insofern manchmal, als das Kontinuierliche eben nicht das Disruptive begünstigt.
Der höchste Grad von Innovation liegt dann vor, wenn wirklich Neuartiges im Sinne von nie Dagewesenem entsteht. 2% ist bei der heutigen Innovationsschwemme dafür sogar eine enorm große Zahl, finde ich. Ich verstehe und akzeptiere natürlich, dass auch unterhalb dieser Schwelle vieles Innovation genannt wird.
Immerwieder schön von Ihnen zu lesen! Ein klarer, unverstellter Blick, scharfe und treffende Analyse und die richtigen Folgerungen ohne Umschweife – so liebe ich das B-))
Über Ihre freundliche Rückmeldung freue ich mich. Zeiten des Wandels sind ja auch gut dafür, Bestehendes einmal mit neuen Augen zu sehen, mir macht das Freude.
Der Beitrag lässt mich aufhorchen (… oder auflesen?). Vielen Dank für den Input! Wir haben anhand unseres Managementsystems selbst erleben müssen, dass KVP nicht hilft und wir einen Neustart (oder einen Aufbruch?) hinlegen mussten und müssen. Vielleicht sollte es in unsere QM DNA eingebaut werden, dass, wenn die Verbesserungsschritte zu Schrittchen werden, die Zeit des Neu-Starts gekommen ist.
Nochmals vielen Dank! Mehr davon!
Was es anstrengend macht, ist, dass es oft eine Zumutung ist, den KVP zu durchbrechen oder zu beenden und Innovation zu betreiben. Bisher haben wir (viele Qualitätsmanager) ja den KVP ganz stark beworben – und eben nicht gesagt (und nicht gesehen?), dass er Grenzen hat und es Settings gibt, in denen er nicht nur nicht nützlich, sondern auch schädlich sein kann.
Hallo Benedikt, wieder einmal ein interessanter Ansatz. Aus meiner Sicht jedoch unvollständig. Warum? Qualität ist nicht nur KVP. Qualität ist die Erfüllung und der Erhalt von Anforderungen. Am Anfang der Umsetzung einer Innovation ist hier natürlich noch etwas Platz zum Verbessern. Nach einer Zeit X des Verbesserns muss in das Bewahren eines erreichten Qualitätsstatus übergegangen werden. Das ist die Herausforderung. Beständigkeit schaffen. Nach erreichter und gehaltener definierter Qualität wird Nachhaltigkeit geschaffen. Das muss das Ziel in einer Welt mit begrenzten Ressourcen sein. Qualität ist nicht am Ende eines KVP sondern Nachhaltigkeit.
Jörg, alles was ich auf einer halben Seite schreibe ist unvollständig. Sogar, was ich auf 320 Seiten schreibe (ganz subtile Werbung für „QM im Wandel“, Hanser, gerade erschienen).
Ich stimme Dir zu, dass es zum Ziele des Selbsterhalts letztlich um Nachhaltigket gehen muss. Deshalb meine ich ja auch, dass, was nachhaltiger ist, auch qualitativ besser ist, als das was gleich gute Funktinalität hat, aber weniger nachhaltig ist.
Ich meine, mindestens in größeren Organisationen sollte es kompetente Leute geben, die wenn sie was sehen aus dem betrieblichen Vorschlagswesen oder was im KV-Prozess Generiertes was das Zeug hat, eine nicht nur innerbetriebliche Innovation zu sein / zu werden, ggf. schützenswert ist, die das dann auch entsprechend bewerten und weiter behandeln.
Ja, jede Idee, auch wenn sie noch so klein erscheint, kann die Keimzelle einer großen Innovations sein. ir ist nur wichtig, dass wir AUCH außerhalb von KVP nach Neuartigem suchen.
Ich finde es schwierig, wirklich innovativ Neues oder gar Disruptives im KVP zu entwickeln, da man in der Regel auf bereits Existierendem aufsetzt und sich in einem gesetzten Rahmen bewegt. Das ist ok und trägt zur Stabilität bei. Revolutionäres erreicht man so nicht. Ich bin bei Ihnen, Herr Sommerhoff, und teile ihre Meinung. Ein gewisses Beharrungsvermögen braucht man wohl als QM. Und dieses Beharrungsvermögen auch abzuwerfen, ist vielleicht eine der von Ihnen oben erwähnten Zumutungen.
Bei aller Euphorie meine Herren, Damen meldeten sich ja bisher nicht zu Wort, sollten wir doch die Definition für Innovation nicht aus dem Auge verlieren.
Die Grafik des Innovationsgrades und des Qualitätsgrades finde ich sehr schlüssig erklärt. Ich habe einen Plan für eine neuartige Technikinnovation entwickelt, die ich realisierbar machen möchte. Leider fehlt mir dafür der richtige Partner. Ich hoffe, dass ich die nächste Zeit ein Fachunternehmen für Engineering finde.
Freut mich, danke für die Rückmeldung. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg.