Service Leadership?15 | 02 | 17
Gehen wir zurück ins 6. Jahrhundert v. Chr. Ein nach Meinung vieler sehr weiser Chinese befindet seinerzeit: Aus Tao entstehen die Pole Yin und Yang – zwei Gegensätze, wie sie gegensätzlicher kaum sein könnten, die sich aber gerade deshalb gewaltig anziehen. Treten die ungleichen Geschwister nun in Wechselwirkung, kommt Leben in die Bude. Alles gerät in Wallung, der einsetzende Wandel bedingt schließlich das Neue … ja, und irgendwie muss dabei auch der Servant-Leader das Licht der Welt erblickt haben – jedenfalls befördert von Lao-Tse (Tao Te Ching, Vers 66), und zwar mit einer gewissen Voraussicht auf unser heutiges Führungsgebaren, so jedenfalls die nur sanft erweiterte Legende.
Was der mystische Philosoph, wenn es ihn denn überhaupt gab, sich damals ausdachte, hat bis heute vor allem Mächtige zu teils maßloser Koketterie veranlasst. Der Alte Fritz, der, gefeiert als Preuße durch und durch, nach anfänglicher Disziplinschwäche tatsächlich erster Diener seines Staates sein wollte, sei hier einmal, einerseits wohlwollend, andererseits der anerkannten Geschichtsschreibung folgend, ein Stück weit ausgenommen.
Führen durch die Hintertür
Schließlich Robert Greenleaf. Vor etwa 45 Jahren entwickelte der Führungsforscher und damalige CEO des Kommunikationsriesen AT&T das bis heute nicht gänzlich unumstrittene Modell Servant Leadership, das sich klar an Lao-Tses Thesen anlehnt, aber auf die Führung moderner Unternehmen zielt. Der klassische Servant-Leader stellt sich vollkommen in den Dienst derer, die er zu führen gedenkt, definiert sich dabei auf keinen Fall über seine Position und nimmt sich auch sonst als Person komplett zurück – Selbstwertgefühl hin oder her.
Er fragt erst einmal nur: Was wollt, was braucht ihr zu Führenden, damit es euch und in der Folge unserem Unternehmen dient? Dann stellt er es ihnen, wenn alles gutgeht, forderungsgemäß zur Verfügung und gewinnt damit – so die Theorie – jener Vertrauen. Die zu Führenden folgen ihm daraufhin unweigerlich, aber zwanglos und werden auf diese Weise zu Geführten. Der Antrieb des Servant-Leaders ist also: durch selbstloses Handeln zu überzeugen, für andere von Bedeutung zu sein und so folgerichtig den natürlichen Führer zu geben.
Eine wohlklingende Mixtur aus 2500 Jahre alter, fernöstlicher Philosophie, einem Schuss Philanthropie, einer gewissen Portion Altruismus und nicht zuletzt auch einem Anflug christlicher Werte – das sind auf den ersten Blick keine schlechten Zutaten. Das Ergebnis gilt Kritikern dennoch als reichlich idealistisch, im Hinblick auf die Umsetzung als eher unrealistisch, wenigstens aber als ziemlich pathetisch-amerikanisch (seit Greenleaf) und als etwas, das sich gerade in dieser Tonalität nicht auf europäische Verhältnisse übertragen lässt – und auf amerikanische selbst, wie man hört, auch nur mal eben so lala.
Minderhierarchische Strukturen schaffen
Schaut man sich indes die Idee dahinter etwas genauer an, stellt man fest, dass das Modell in abgewandelter Form durchaus zur Etablierung minderhierarchischer Strukturen taugen könnte und eigentlich ja auch dazu gedacht ist. Dabei geht es aber wesentlich um erfolgreiches Zusammenarbeiten im Sinn von Netzwerken und Teamarbeit mit entsprechender Verantwortlichkeit der jeweils Handelnden, vor allem, weil dies nach Ansicht damit befasster Wissenschaftler in Zukunft am ehesten zu nachhaltigem Unternehmenserfolg führen könnte – aber ohne dabei auf eine kontinuierliche Führung zu verzichten, deren Vertreter am Ende ohnehin immer den Kopf hinhalten müssen. Letzteres wird, seriösen Prognosen zufolge, auch sehr lang nach ISO 9001:2015 – Kapitel 5.1 – noch der Fall sein.
Deshalb tun sich viele Protagonisten, vor allem der hiesigen Wirtschaft, eher schwer mit der wiederentdeckten Selbstlosigkeit. Führung ist für sie ziemlich untrennbar mit einer gewissen Machtfülle, Einfluss, auf jeden Fall aber mit einer Position, die weitreichende Kompetenzen bereithält, verbunden – wer will denn andernfalls eine persönliche Rechenschaftspflicht auf sich nehmen, die jenseits von Normen auch in unserem Rechtssystem ziemlich unausrottbar scheint?
Im Dienen schwingt hingegen unrettbar und psychologisch wenig wertvoll Unterwürfigkeit – der niedere Knecht sattelt die Pferde. Auch wenn man in Rechnung stellt, dass die selbst auferlegte Rolle am Ende nur Mittel zum Zweck ist: Man könnte den Kern der Sache weiß Gott besser transportieren. Es liegt wieder einmal an Begriffen, die das, was eigentlich gesagt werden soll, nicht überzeugend liefern.
Service Leadership!
Mag sein, dass Amerikaner in ihrem Sprachverständnis den Servant-Leader ein Stück weit goutieren, jenseits des Großen Teiches wird ja von Teilen der Gesellschaft so manches goutiert. Es ist aber auf jeden Fall nicht sinnvoll, den zwiespältigen Begriff praktisch 1:1 ins Deutsche zu übertragen und genau genommen auch nicht, ihn im Original zu verwenden. Wir sollten das herausgreifen, was aus unserer Sicht das Wesentliche ausmacht und dann auch benennen – weitgehend das oben bereits Skizzierte, gern auch das, was im Manifest für agiles Qualitätsmanagement überzeugend dargelegt wird, dann aber ohne die polarisierende, eher hinderliche Zwischenüberschrift Dienende Führung.
Die dort genannten Konzepte zu unterstützen und deren Umsetzung zu ermöglichen, läuft viel eher auf Führen als Dienstleistung[1] hinaus. Wer will denn heute noch (oder wieder) einen Diener machen? Als moderner Dienstleister stellt sich eine ansonsten starke Führung, die es auch in agilen Organisationen geben sollte oder dereinst geben wird, tatsächlich in den Dienst des eigenen Unternehmens und ist gleichzeitig pädagogisch wertvolles Vorbild, was im Übrigen das Mindeste ist, was man bereits heute von einer guten Führungskraft erwarten kann.
[1] Der alternative Begriff Führen als Dienstleistung geht auf einen Vorschlag zurück, den das Autoren-Duo Prof. Dr. Boris Kaehler und Markus Krost in einem Beitrag für das Fachmagazin PERSONALFÜHRUNG (Ausgabe 6/2010) entwickelt hat.
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