Qualitätsmanagement im politischen Prozess – geht das, gibt‘s das?25 | 01 | 22

Innerhalb von nur drei Monaten erlebten wir eine Bundestagswahl, Koalitionsverhandlungen dreier Parteien, die Regierungsbildung und den Beginn der Regierungsarbeit am 8. Dezember 2022. Das war vergleichsweise schnell. Unser Nachbarland Niederlande wählte Mitte März 2021. Nach monatelangen Koalitionsverhandlungen erfolgte die Vereidigung der neuen niederländischen Regierung erst am 10. Januar 2022. Ist Schnelligkeit im politischen Prozess ein Indikator für Qualität, Langsamkeit von Nicht-Qualität? Wenn ja, dann sicherlich nicht der einzige.

Die DGQ ist die Fachgesellschaft für Qualität, ihre Mitglieder sind Expertinnen und Experten für Qualitätsmanagement und Qualitätssicherung und bekennen sich zur Qualität. Die DGQ kann und will sich mit dieser Kompetenz und Haltung für Qualität in allen Aspekten unseres Lebens einsetzen. Dazu gehört auch, sich zu relevanten gesellschaftlichen Fragen mit Bezug zur Qualität einzubringen. Doch wo und wie ist das möglich? Was müssen wir beachten, damit das gelingen kann?

Was ist hier Qualität?

Was ist Qualität im politischen Prozess? Ist sie politische Qualität, also die Qualität der politischen Programme, Inhalte und Positionen? Die Gesellschaft und ihre Subgesellschaften, die Bürgerinnen und Bürger selbst, haben und erzielen keinen Konsens darüber, was eine solche politische Qualität ist. Denn relevante politische Inhalte und Positionen sind nahezu immer ambivalent und kontrovers, sie finden gleichzeitig Anhänger und Gegner. Anders als auf dem freien Markt, wo Konsumenten ihre Anbieter und Produkte eigenständig auswählen und ablehnen können, müssen aber auch die Gegner eines politischen Inhalts diesen selbst auch konsumieren – sobald er von einer Parlamentsmehrheit in Gesetze gegossen ist. Auch für Gegner der Schulpflicht gilt die Schulpflicht, auch Gegner einer Geschwindigkeitsbegrenzung sind verpflichtet, sie einzuhalten, auch Gegner der Mehrwertsteuer müssen sie entrichten. Im politischen Prozess ist also bezogen auf Inhalte und Positionen das Ableiten von Qualitätsmerkmalen aus Kundenanforderungen nicht oder nur bedingt möglich. Politik trifft manchmal sogar Entscheidungen gegen den Mehrheitswillen, im Sinne des Wortes unpopuläre Entscheidungen. Was im Unternehmen als unangemessen oder inkompetent gelten würde, vom Markt nicht gewollte Produkte herzustellen, kann in der Politik sogar verantwortliches Handeln bedeuten. Wohingegen die populistische Entscheidung die Wünsche lautstarker und oft vieler „Kunden“ zu deren Zufriedenheit bedient, sich aber für die Gesellschaft als destruktiv und enorm schädlich erweisen kann. Denn Bürgerinnen und Bürger haben auch das Recht zu fordern, was ihnen schadet und abzulehnen, was ihnen nutzt. Politische Entscheider haben aber die Pflicht, Nutzen zu stiften und Schaden abzuwenden. Und darüber, was nützlich und schädlich ist, gehen zu vielen Themen die Meinungen in der Gesellschaft weit auseinander. So gibt es meist weder gesellschaftsweiten Konsens über politische Ziele noch darüber, mit welchen Mitteln diese Ziele überhaupt wirkungsvoll zu erreichen sind.

Um zu klären, was Qualität im Kontext der Politik ist, hilft es zunächst zu bestimmen: Was sind die Produkte politischer Prozesse? Wie bei Dienstleistungen sind ihre Produkte immateriell. Es sind Programme, Positionen und Inhalte, Figuren, Visionen und Utopien, auch Entscheidungen. Die politischen Konkurrenten, Parteien und manchmal Parteiflügel der gleichen Parteien, produzieren spezifische und oft konkurrierende Programme, Inhalte und Positionen. Selbst wenn diese keine Mehrheiten finden, weil die Partei in der Opposition ist oder weil sich der Flügel innerparteilich nicht durchsetzt, sind sie für die „Konsumenten“ bereits bedeutende immaterielle Produkte. Die politischen Prozesse produzieren auch Figuren, Galionsfiguren, als „Produkte“ sind sie Projektionsflächen für Träume und Hoffnungen von Bürgerinnen und Bürgern. Dabei kann sich das Produkt „politische Figur“ recht weit von der konkreten, privaten Person, die diese Figur verkörpert, unterscheiden. Das Produkt kann sich auch als Vision, als Utopie und sogar als Dystopie manifestieren. Besonders greifbar und ein Toppprodukt im Portfolio sind Entscheidungen, besonders die, die als Regeln (Gesetze) konkrete Wirkungen auf den Alltag der Bürgerinnen und Bürger haben.

Für Entscheidungen könnten beispielsweise Konsistenz, Fundiertheit, Plausibilität wichtige Qualitätsmerkmale sein, auch für die handwerkliche Qualität, mit der sie formal in Gesetze gegossen werden. Und da lag in den letzten Jahren wohl auch einiges im Argen. So ist alarmierend, wie häufig das Bundesverfassungsgericht Gesetze für nicht verfassungskonform erklärt hat.

Qualifikation und Kompetenz

Interessant finde ich den immer häufigeren Einwurf, einige Politiker hätten keinen Berufsabschluss oder hätten nicht in ihrem erlernten Beruf gearbeitet. Die Schlussfolgerung lautet dann oft, dass dies ihre Qualifikation als Mandatsträger oder politische Funktionäre mindere. Eine interessante Position, die ich so pauschal nicht nachvollziehen kann. Einem Bäcker wirft man ja auch nicht vor, dass er vor seiner Arbeit in der Backstube nicht zuvor als Maurer gearbeitet hat, sondern ohne Umwege gleich Bäcker geworden zu sein. Wer aber von Jugend an in einer Partei und ihren Gremien aktiv war und dann Parteikarriere macht, die oder der hat doch politisches Handwerk von der Pike auf gelernt. Warum soll das schlechter für Partei- und politische Führungsämter qualifizieren, als sieben Jahre als Ärztin zu praktizieren oder 22 Jahre Lehrer gewesen zu sein?

Notwendige Voraussetzung für ein Wahlamt ist es, gewählt zu werden. Oberhalb der kommunalen Ebene ist es dafür in diesem Land fast zwingend erforderlich, von einer Partei für die Wahl aufgestellt zu werden, also auf einen aussichtsreichen Listenplatz zu kommen oder als Wahlkreiskandidat aufgestellt zu werden. Begründet liegt das in der konkreten Ausgestaltung unserer Verfassung. Es könnte anders sein – aber dafür müssten wir zunächst auf den dafür vorgesehenen Wegen die Verfassung – also das „Managementsystem“ ändern. Letztlich sind auf diesem etablierten Wege nur diejenigen überhaupt durch uns Bürgerinnen und Bürger in Parlamente wählbar, die die politische Kompetenz haben, sich für eine Wahlkandidatur zu qualifizieren und dafür Mehrheiten ihrer Partei zu aktivieren. Was ist für diese Kandidatinnen und Kandidaten politische Kompetenz? Sie erfordert kommunikative und strategische Kompetenz. Sie braucht die Kompetenz, zu netzwerken, Unterstützerinnen und Unterstützer zu gewinnen, Bündnisse zu schließen. Die Kompetenz Niederlagen und Rückschläge zu überwinden. Sie benötigt Führungskompetenz. Hilfreich ist auch Fachkompetenz auf benötigten oder selbstgewählten Gebieten, zum Beispiel Wirtschaftspolitik, Außenpolitik, Kommunalpolitik, Gesundheitspolitik.

Zudem formt eine doppelte berufliche Sozialisation politische Karrieren. Es sind bestimmte Menschen, die in die Politik streben, beispielsweise haben sie politischen Gestaltungswillen, sind gemeinwohlorientiert – und es ist populär aber zuallermeist unangemessen, ihnen Letzteres abzusprechen. Die Politik formt allerdings auch Politiker- und Politikerinnentypen auf bestimmte Weise. Das ist die zweite Sozialisation. Sie erfolgt durch harte Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern und Freunden, durch Niederlagen und Siege, durch öffentliche Unterstützung und Anfeindungen, durch 16-Stundentage und Verzicht, durch Agieren in Hinterzimmern und auf öffentlichen Bühnen.

Der Politikbetrieb ist kein Unternehmen

Wir dürfen und sollten Qualität politischer Prozesse einfordern, als Deutsche Gesellschaft für Qualität, als DGQ-Mitglieder oder als Qualitätsmanagerin oder -manager. Bringen wir uns mit diesbezüglichen Umsetzungsideen ein, sollten wir es gestützt auf unsere Kompetenz aber auch spezifisch, fundiert und kontextgeeignet leisten. Dazu müssen wir wissen und berücksichtigen wie in Parteien, Regierungen, Parlamenten, Gremien und Behörden:

  • Personalauswahlprozesse und berufliche Sozialisationen,
  • politische Meinungsbildung und Konsensbildungsprozesse,
  • nichtöffentliche und öffentliche Kommunikation,
  • Gesetzgebungsverfahren

funktionieren.

Die Unterschiede zu entsprechenden Strategien, Prozessen und Organisationsprinzipien in Unternehmen sind so eklatant, dass Übertragungen dessen, was dort funktioniert auf politische Prozesse gar nicht, kaum oder nur mit gravierenden Anpassungen möglich sind. Vorschläge für ISO 9001-basierte QM-Systeme, den FMEA-Einsatz oder gar Zertifizierungen in Parteien, Parlamenten oder Regierungen sind dafür gänzlich ungeeignet. Sie sind eher ein Ausdruck unserer Unzufriedenheit mit politischen Prozessen oder unserer Verzweiflung mit deren Langsamkeit oder der Enttäuschung über oft konsensual weichgespülte Kompromissen und Ergebnisse, als ein zielführender und politikerseits ernstzunehmender Verbesserungsvorschlag.

Standort- und Lebensqualität

Es ist erstrebenswert, geboten und möglich, dass die DGQ als Verein und ihre Mitglieder als Expertinnen und Experten ihr Wissen und Können in Gesellschaft und Politik einbringen. Ein bedeutender Beitrag wäre, zur Klärung beizutragen, was politische Qualität, was die Qualität der Ergebnisse politischer Prozesse und was die Qualität politischer Prozesse ist und wie sie sich managen und sichern lässt. Wichtige Felder eines DGQ Engagements können zudem die Themen Standortqualität bzw. die Qualitätsfähigkeit des Standorts Deutschland und in enger Verbindung damit die Lebensqualität in diesem Land sein. Der Koalitionsvertrag der Regierungsparteien adressiert das Thema Qualität nicht als bedeutendes oder strategisches Thema, anders als die Themen Innovation, Digitalisierung und Klimaschutz. Das kann einerseits bedeuten, dass die Parteistrategen Qualität als wirtschafts- und gesellschaftsrelevantes Thema übersehen oder dort keinen Handlungsbedarf sehen, weil bei ihnen Qualität oder Made in Germany nach wie vor als Stärke gelten.

Doch das alte Alleinstellungsmerkmal ist schwach geworden, andere Regionen, Nationen und Wirtschaftsstandorte haben massiv aufgeholt und wir haben gleichzeitig in Deutschland langjährige Qualitätsführerschaft in wichtigen Branchen eingebüßt.

Hier kann die DGQ im Bündnis mit Wirtschaftsverbänden, Verbraucherschützern und weiteren wichtigen Institutionen und Vertretern der Zivilgesellschaft sowie auch den Parteien daran arbeiten, dass dieses Land aber auch die EU neben Nachhaltigkeit und Digitalisierung auch die Qualitätsfähigkeit als wirtschaftlich, gesellschaftlich und damit als politisch relevant erkennen. Und dann gilt es auch, zu überlegen, mit welchen Mitteln wir in der heutigen Zeit die Qualitätsfähigkeit effektiv verbessern. Fachlich können wir das, wie das im politischen Prozess gelingen kann, müssen wir zügig lernen.

Über den Autor: Benedikt Sommerhoff

Benedikt Sommerhoff leitet bei der DGQ das Themenfeld Qualität & Innovation. Er beobachtet, analysiert und interpretiert die Paradigmenwechsel und Trends in Gesellschaft und Wirtschaft sowie ihre Wirkungen auf das Qualitätsmanagement. Seine zahlreichen Impulse in Form von Publikationen und inspirierenden Vorträgen geben Orientierung in Zeiten des Wandels. Sie ermutigen zur Neukonzeption des Qualitätsmanagements und der Qualitätssicherung. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten des DGQ-Netzwerks aus Praxis und Wissenschaft arbeitet Sommerhoff in Think Tanks und Pionierprojekten an der Entwicklung, Pilotierung und Vermittlung innovativer Konzepte und Methoden.

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