Q-Methoden im Mittelstand: Potenzial und Grenzen4 | 10 | 23

Q-Methoden, Mittelstand

Im Zeitalter des globalen Wettbewerbs und der Informationsflut spielt das Qualitätsmanagement eine besondere Rolle. Für den deutschen Mittelstand, oft als Rückgrat der deutschen Wirtschaft bezeichnet, stellt das Streben nach Qualität dabei gleichermaßen eine Herausforderung und Chance dar: Schließlich müssen kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) mit finanziellen, personellen und zeitlichen Kapazitäten ganz anders haushalten als Großunternehmen. Andererseits haben Prozessoptimierungen umso mehr Wirkmacht.

Überraschenderweise scheint die Relevanz der klassischen „sieben Qualitätswerkzeuge“ (Q7) – Prüfblatt bzw. Strichliste, Histogramm, Pareto-Diagramm, Ishikawa- oder Fishbone-Diagramm, Korrelations- oder Streudiagramm, (Qualitäts-)Regelkarte sowie Programmablaufplan bzw. Flussdiagramm – jedoch zu schwinden: Eine nicht-repräsentative Umfrage im DGQ-Netzwerk zeigte, dass 77% der Befragten eine Überarbeitung dieser Methoden für notwendig halten. Dieser Beitrag geht den Vor- und Nachteilen der Q7 mit Blick auf den Mittelstand auf den Grund und zeigt, worauf es bei ihrem Einsatz ankommt.

Vorteile der sieben Qualitätswerkzeuge im Mittelstand

Bekanntheit:
Trotz ihres Alters sind die „sieben Qualitätswerkzeuge“ in Fachkreisen weit verbreitet und durch zahlreiche Anwendungsbeispiele gut dokumentiert. Gerade der Einsatz von bewährten und anerkannten Methoden bietet mittelständischen Unternehmen entsprechende Möglichkeiten, um sich in einem kompetitiven Markt zu behaupten: Diese Werkzeuge sind bekannt und erprobt. Damit bieten sie Mittelständlern eine sichere Grundlage für Qualitätsverbesserungsmaßnahmen.

Flexibilität:
Obwohl sie ihren Ursprung in der Produktion haben, sind die Q7 flexibel genug, um in unterschiedlichsten Bereichen Anwendung zu finden. Mittelständische Unternehmen sind oft in einer Vielzahl von Branchen tätig. Ein universell anwendbares Werkzeugset wie die Q7 ermöglicht es ihnen, Qualitätsmanagementpraktiken über verschiedene Geschäftsbereiche hinweg zu standardisieren.

Anpassbarkeit:
Die Qualitätswerkzeuge können individuell an verschiedene Aufgaben angepasst werden. Aufgrund ihrer begrenzten Ressourcen benötigen mittelständische Unternehmen flexible Werkzeuge, die an spezifische betriebliche Herausforderungen angepasst werden können, ohne zusätzliche Investitionen in spezialisierte Tools oder Schulungen.

Nachteile der sieben Qualitätswerkzeuge im Mittelstand

Bildungslücken:
Auch wenn die Methodennamen bekannt sind, bedeutet dies nicht automatisch, dass ihre Anwendung in der Praxis überall geläufig ist. Regelmäßige Schulung ist erforderlich, damit sie ihre volle Wirkung entfalten.

Mittelständische Unternehmen haben jedoch oft nicht das Budget oder die Kapazität für fortlaufende Schulungen, was zu Wissenslücken und einer unzureichenden Anwendung der Werkzeuge führen kann. Die Mitarbeiter:innen müssen häufig versuchen, sich die Tools mit “Selbststudium” anzueignen. Hier hilft der DGQ-Kurs “QM-Tools für die Praxis”.

Technische Hürden:
Die Digitalisierung stellt Unternehmen vor die Herausforderung, wie die Ergebnisse dieser Werkzeuge digital umgesetzt werden können. Es fehlen oft integrierte Lösungen, und spezifische Softwaresysteme können hohe Kosten verursachen.

Aufgrund von Budgetbeschränkungen können sich mittelständische Unternehmen teure und komplexe technologische Lösungen oft nicht leisten, was ihre Fähigkeit einschränkt, Qualitätsmanagementwerkzeuge in vollem Umfang digital zu nutzen. Die Mitarbeiter:innen müssen versuchen, die Qualitätsmanagementwerkzeuge “analog” anzuwenden, was häufig als “aufwändig” und “frustrierend” empfunden wird.

Komplexität:
Ohne die notwendige Methodenkompetenz und passende Software kann es schwierig werden, das richtige Werkzeug für komplexe Problemstellungen auszuwählen.

Der Mittelstand steht vor der Herausforderung, mit begrenzten Ressourcen komplexe Probleme zu lösen. Ohne entsprechende Schulung oder passende technologische Lösungen kann dies zu Ineffizienzen und suboptimalen Entscheidungen führen. Neben dem Wissen über das QM-Werkzeug werden dabei noch andere Fähigkeiten vom Mitarbeiter:in “gefordert”, wie z.B. Moderationsfähigkeiten. Nicht jede:r Mitarbeiter:in möchte dabei in Vordergrund stehen oder traut sich das Moderieren zu.

Braucht es eine Überarbeitung der sieben Qualitätswerkzeuge?

Es lohnt sich sicherlich, zu überlegen, ob die klassischen Q7-Werkzeuge in ihrer aktuellen Form überholt werden sollten oder ob ihre Kombination mit anderen Techniken Sinn ergibt. Aber auch in ihrer klassischen Form können sie Unternehmen bereits wertvolle Dienste leisten. Insbesondere mittelständische Unternehmen, die oftmals mit zeitlichen und finanziellen Kapazitätsengpässe zu kämpfen haben, sollten sich jedoch in erster Linie darauf konzentrieren, ein oder zwei Werkzeuge gezielt und mutig auf ihre spezifischen Herausforderungen anzupassen, anstatt sie alle parallel umzusetzen. Nicht zuletzt spielt auch Mitarbeiterbildung eine zentrale Rolle dafür, Hemmnisse und Unsicherheiten im langfristigen Methodeneinsatz überwinden.

Wie kann ein Beispiel aussehen?

Ein konkreter Fall kann die praktische Anwendung und den Wert der Q-Methoden verdeutlichen. Die Ishikawa-Analyse, oft auch als Ursache-Wirkungs-Diagramm bezeichnet, ist seit jeher ein renommiertes Werkzeug in den Q-Methoden. Es ermöglicht Unternehmen, die Hauptursachen von Problemen systematisch zu identifizieren und die Beziehungen zwischen verschiedenen Ursachen und den auftretenden Problemen zu entschlüsseln, ohne dabei übermäßig viel Ressourcen zu binden. Nehmen wir beispielsweise ein mittelständisches Lebensmittelverarbeitungsunternehmen: Dieses könnte die Ishikawa-Methode verwenden, um Verunreinigungen in seinem Produktionsprozess zu analysieren.

In einem anderen, ebenso relevanten Bereich, nämlich dem Datenschutz, kann die Ishikawa-Methode ebenfalls zum Einsatz kommen. Die Einführung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) hat den Datenschutz in Europa grundlegend verändert und insbesondere die Mittelstandsbetriebe vor großen Herausforderungen gestellt. So fordert Artikel 33 der DSGVO beispielsweise die Unternehmen dazu auf, Verletzungen im Schutz personenbezogener Daten unverzüglich zu melden. Das erfordert einen reibungslosen Prozess und klare Zuständigkeiten. Hier kann die Ishikawa-Methode zur Prozesserarbeitung bzw. -analyse eingesetzt werden. Durch ihre Fähigkeit, komplexe Prozesse in Hauptkomponenten zu zerlegen, kann sie Firmen effektiv dabei unterstützen, die Hauptursachen für potenzielle Datenschutzverletzungen systematisch und ressourcensparend zu identifizieren. Dies kann das Aufdecken einer unklaren Kommunikationslinie, mangelnder Schulungen oder unzureichender IT-Sicherheitssysteme beinhalten.

Die richtige Anwendung der Methode hilft Mittelständlern nicht nur, einen effizienten Prozess zur Meldung von Datenschutzverletzungen zu etablieren, sondern auch das Vertrauen ihrer Klientel in ihre Datenschutzmaßnahmen zu festigen.

Fazit: Auf den strategischen Einsatz kommt es an

Schlussendlich zeigt sich, dass die Kombination von bewährten Qualitätsmanagement-Methoden wie der Ishikawa-Analyse mit den Anforderungen der modernen, digitalisierten und rechtlich regulierten Welt ein unschätzbares Instrument für den Mittelstand darstellen kann, um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben.

Qualitätsmanagement ist für den deutschen Mittelstand nicht nur eine Option, sondern eine unerlässliche Praxis. Während Methoden wie die Ishikawa-Analyse unbestreitbare Vorteile bieten, müssen Unternehmen jedoch vor allem auch sicherstellen, dass sie ihre QM-Methoden nicht nur im Rahmen einer Checkliste abhandeln, sondern als strategisches Werkzeug zur Qualitätsoptimierung nutzen.

 

Lernen Sie weitere Methoden und Werkzeuge des Qualitätsmanagements kennen

Mit unseren DGQ-Trainingsangeboten geben wir Ihnen das Rüstzeug an die Hand, um Risiken in Prozessen zu minimieren, Fehlerursachen zu eruieren sowie Abläufe effizienter zu gestalten. Neben der richtigen Anwendung der Methoden sind Kenntnisse der zugrunde liegenden Normen und Gesetze sowie ein Verständnis der vorhandenen Systemstruktur unerlässlich.

Dieses Wissen vermitteln wir Ihnen in den DGQ-Trainings für unterschiedlichste Einsatz- und Themenbereiche. Erfahren Sie mehr »

Über den Autor: Julian Steiger

Julian Steiger verfügt über sechs Jahre Erfahrung im Qualitätsmanagement. Bei der DGQ ist er sowohl als Teil des Leitungsteams des Regionalkreises Köln-Bonn als auch im Leitungsteam der QM-Youngsters ehrenamtlich tätig. Zu seinen Schwerpunkten zählt, gemeinsam im Team neue Prozesse zu gestalten und Workshops zu moderieren. An der Hochschule Wismar absolvierte Julian Steiger das Masterstudium Quality Management.