Lies das! Und das! Und das …! – Dokumentationsvolumen im Unternehmen6 | 05 | 25
Bürokratie wird meistens negativ konnotiert. Das wird ihr nicht gerecht, denn ganz ehrlich, ganz ohne Bürokratie ist kein Staat zu machen, ein Unternehmen auch nicht. Die unverzichtbaren Aufgaben, Ressourcen zu verwalten, Prozesse anforderungsgerecht zu steuern, individuelle und kollektive Rechte durchzusetzen, erfordern in Gemeinschaften, die bereits eine niedrige Komplexitätsschwelle überschreiten, Administration.
Bürokratie: The Good, the Bad and the Ugly
Bürokratie ist also grundsätzlich etwas Gutes, Nützliches, ist manchmal wertschöpfend, zumindest aber eine notwendige Stützleistung. Was uns erheblich zu schaffen macht, ist die Überbürokratisierung. Sie wirkt als Verzögerer und Verhinderer der Wertschöpfung, versagt als Stützleistung und erzeugt Blind- und Fehleistung. Und sie hat eine wirklich ärgerliche Eigenschaft: Bürokratie wuchert, wächst nahezu immer über das notwendige Maß hinaus und dann immer weiter und weiter. Selbstbeschränkung ist ihr auf Dauer unmöglich. Sie kann fast nur von außen gestutzt werden und das zumeist unter Schmerzen und Friktionen, bis sie auf ein angemessenes Maß eingepegelt wird – und dann wieder zu wachsen beginnt. Und machen wir uns nichts vor: Ein unverzichtbarer Teil des Qualitätsmanagements ist Bürokratie. Das zu Leugnen ist völlig unglaubwürdig, weil es der Alltagserfahrung der Mitarbeitenden widerspricht.
DGQ-Kurzumfrage zu Managementsystemdokumentation
Dokumente sind die unverzichtbaren Bausteine der Bürokratie. Sie legen die Spielregeln dar, der alte ISO-QM-Begriff dafür ist „Vorgabedokumente“. Und sie halten Fakten und Ergebnisse fest, im QM-Sprech sind das „Aufzeichnungen“. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie papieren oder elektronisch vorliegen.
Im März und April 2025 hat die DGQ eine Kurzumfrage durchgeführt, an der sich 96 Mitarbeitende verschiedener Unternehmen beteiligt haben. Sie ist erwartungsgemäß nicht repräsentativ, ihre Rückmeldungen liefern dennoch interessante Anstöße für die Reflexion der Situation im eigenen Unternehmen.
Dokumentationsvolumen im Unternehmen
Wie viele gelenkte Vorgabedokumente haben Unternehmen eigentlich? Die Antwort auf diese Frage hängt von vielen Faktoren ab: Wie stark ist das Unternehmen reglementiert? Wie kompliziert sind seine Produkte und Prozesse? Wie groß und wie verzweigt ist es? Welche Qualifikationen haben die Mitarbeitenden? Wie gut ist das Dokumentenmanagement, wird aktiv verschlankt, Veraltetes sofort herausgenommen…?
Die DGQ hat in der Kurzumfrage den Reglementierungsgrad, den Grad der Kompliziertheit der Produkte und die Mitarbeitendenzahl abgefragt. Und dann die Zahl der Dokumente erhoben. Die Unternehmensgröße ist sicherlich eine gute Bezugsgröße im Quotienten aus Dokumentenzahl pro Mitarbeitenden (Dokumentenquote). Die Abbildung 1 „Dokumentenquote“ zeigt die Dokumentenquote aufgetragen nach Mitarbeitendenzahl. Um sich in den logarithmischen Skalen besser zu orientieren, sind die Datenpunkte am weitesten links, rechts, oben und unten, sowie einer in der Mitte rot hervorgehoben und die jeweiligen Werte daneben eingetragen.
Eine große Spreizung und ein grober Richtwert
Der unterste Punkt zeigt Unternehmen A mit 3000 Mitarbeitenden und insgesamt10 Dokumenten, also gerundet 0,003 Dokumente pro Mitarbeitenden. Der Punkt oben zeigt ein Unternehmen B mit 300 Mitarbeitenden und 18,333 Dokumenten pro Mitarbeitenden, insgesamt 5500 Dokumenten. Nun könnte man meinen, dass eine sei ein schwach reglementiertes Unternehmen mit einfachen Produkten und das andere ein hochreglementiertes mit komplizierten Produkten. Beide Antwortgebenden attestieren sich allerdings einen gleich hohen Reglementierungsgrad, dem sie unterliegen (Wert 4 von max. 5), Unternehmen A nennt einen mittleren Kompliziertheitsgrad der Produkte (Wert 3 von max. 5), B hingehen ein hohen (Wert 4 von max. 5). Auf diese Wiese erklärt sich der eklatante Unterschied also nicht. Hier liegen sicherlich Ausreißer nach oben und nach unten vor. Der Mittelwert für die Dokumentenquote liegt bei 2,2 Dokumente pro Mitarbeitenden, der Median bei 0,8. Der Median scheint auch eine gute Annährung für einen groben Richt- oder eher Orientierungswert zu bieten, da bei ihm die extremen Ränder nicht so sehr ins Gewicht fallen. Die Grafik zeigt auch, dass tendenziell größere Unternehmen weniger Dokumente pro Mitarbeitenden haben. Bei all diesen Betrachtungen ist zu beachten, dass die geringe Stichprobe einen ersten groben Eindruck von der Lage vermittelt.
Abbildung 1: Dokumente pro Mitarbeitenden nach Mitarbeitendenzahl
Zu welchen Themen die Unternehmen dokumentieren
Abbildung 2 zeigt das Dokumentationsvolumen für verschiedene Managementsystemthemen. Die Anwortgebenden konnten jeweils in Fünf-Prozent-Schritten das jeweilige Volumen angeben. Das größte Volumen insgesamt hat dabei das Qualitätsmanagement. Die untere Linie einer Box zeigt den Beginn des zweiten Quartils, die obere das Ende des dritten Quartils. Ein Quartil umfasst immer genau ein Viertel der Werte der Verteilung. Die Medianlinie teilt die Box und bildet damit die Trennlinie zwischen zweitem und drittem Quartil. Weil nur in Fünf-Prozent-Schritten geantwortet werden konnte, kann der Median auch am Rande einer Box liegen. Die vertikalen Linien, begrenzt durch Querlinien, zeigen die Breite der Verteilung an. Punkte, die außerhalb dessen liegen, sind statistische Ausreißer. So viel zum notwendigen Verständnis der Abbildung, jetzt geht es zur Interpretation: „Qualitätsmanagement“ ist im Kreise dieser Stichprobe mit einem Median von 30 Prozent das Thema mit dem insgesamt größten Dokumentationsvolumen, gefolgt von „Sonstiges“, „Governance/General Management“ und „Arbeitssicherheitsmanagement“ mit jeweils einem Median von 10 Prozent. Anhand der abgebildeten Verteilungen sieht man, dass in einzelnen Unternehmen jedes Thema ein höheres und auch niedrigeres Dokumentationsvolumen einnehmen kann; das zeigen auch insbesondere die Ausreißer. Es ist zu berücksichtigen, dass nicht immer eine klare Abgrenzung gelingt, was QM-Dokumentation und Nicht-QM-Dokumentation ist. Auch die Abgrenzung zwischen den anderen Themen ist nicht immer trennscharf, zumal wenn integrierte Managementsysteme Themen gut verbinden.
Abb. 2: Dokumentationsanteile
Kommunikationskanäle
Elektronische Kanäle haben Print inzwischen bei der Übermittlung von Vorgaben an die Mitarbeitenden abgelöst. Die meisten Unternehmen aus der Stichprobe nutzen mehrere Kanäle parallel. Insbesondere ergänzen Schulungen inklusive Einarbeitungen elektronische oder physische Dokumente.
Abb. 3: Kommunikationskanäle
Die Integration der Vorgaben in die Workflows, in die führenden Softwaretools, mit denen Mitarbeitende in ihren Prozessen arbeiten, ist der effektivste und effizienteste Weg, diese dann, wenn es darauf ankommt, auf Gebote und Verbote unmittelbar hinzuweisen bzw. die Erfüllung der entsprechenden Regeln durchzusetzen.
Gute Praktiken für die Dokumentation
Die Umfrage selbst baut auf Erfahrungswissen zur Dokumentation und erhebt ein Bild über die heute gelebte Praxis. Erfahrung steht auch hinter den folgenden Grundprämissen guter Dokumentation:
Auf der Grundlage der Fragen, ob und was überhaupt zu dokumentieren ist, muss das Unternehmen das Richtige dokumentieren. Und auf der Grundlage der Frage, wie das bestmöglich geschieht, muss es richtig dokumentieren.
Im Einzelnen bedeutet das:
- Halten Sie das Dokumentationsvolumen so gering, wie möglich.
- Entfernen Sie veraltete und obsolete Inhalte so schnell wie möglich aus der Dokumentation.
- Gehen Sie auf die Bedürfnisse der Rezipienten der Dokumente und Vorgaben ein. (Das betrifft vor allem Sprachstil, Text-Grafik-Verhältnis, Umfang, Layout, Kanäle.)
- Stellen Sie die Nutzerfreundlichkeit („Usability“) der Dokumentation, des Dokumentenmanagements und vor allem jedes einzelnen Dokuments oder bei Workflow-integrierter Dokumentation jeder einzelnen Vorgabe sicher.
(Die eigenen Mitarbeitenden des Unternehmers sind dabei die Nutzer, auf die es allein ankommt, nicht Auditoren.) - Integrieren Sie Vorgaben, wo immer es geht, in die Workflows.
Über den Autor: Benedikt Sommerhoff
