Interview: Von BS OHSAS 18001 zu ISO 4500122 | 02 | 18
Der große Sprung zu neuen Denkstrukturen im internationalen Arbeitsschutzmanagement
Herausforderung ISO 45001 – Der spannende Weg zu einem weltweiten Standard für Arbeitsschutzmanagementsysteme
Wir haben zwei Experten an einen Tisch gebeten: Susanne Petersen, Ingenieurin für Technischen Umweltschutz, Organisationsberaterin und Initiatorin von „change in progress“ für Managementsysteme in Bewegung sowie Uwe Marx von der Gesetzlichen Unfallversicherung VBG, Ingenieur der Elektrotechnik, Leiter des SG 3 „Systematische Integration von Sicherheit und Gesundheit in den Betrieb“ bei der DGUV und Deutschlands Speerspitze bei der Entwicklung der ISO 45001.
Gemeinsam nehmen sie wesentliche Details unter die Lupe:
- Wer arbeitete bei der Erstellung der neuen Norm zusammen?
- Warum lösten einige Schlüsselthemen Kontroversen aus?
- Welche Unterschiede bestehen zwischen ISO 45001 und BS OHSAS 18001?
Petersen: Herr Marx, ursprünglich sollte die Norm ISO 45001 im Herbst 2016 erscheinen. Nun erscheint die neue Arbeitsschutznorm im März 2018. Stellt sich die Frage, warum es 1,5 Jahre länger gedauert und wer hier überhaupt zusammen gearbeitet hat. Die Norm gilt ja weltweit. Die großen Staaten sind bekannt, man hört viel, auch in anderen politischen Dimensionen: Amerika, alle Mitgliedsstaaten der EU, die großen Länder Asiens. Aber wer waren die weniger bekannten Teilnehmer in dem Verfahren?
Marx: Fangen wir mal mit diesem Punkt an. Insgesamt gab es 69 sogenannte participating members, also Staaten, deren Normungsorganisationen mitwirkten; natürlich die großen Player: Italien, Frankreich, Deutschland, die Amerikaner (Nord/Süd), Australien – sämtliche Kontinente waren ver-treten. Es gab aber auch Exoten, wie die Elfenbeinküste (Westafrika) oder Ruanda (Ostafrika). Gerade Ruanda war oft mit einer starken Delegation aus vier bis fünf Personen vertreten, die aktiv als Experten mitarbeiteten. Der Irak, aber auch Jamaika sind zu nennen. Kolumbien schickte Delegierte. Fazit: Es war sehr bunt gemischt.
Petersen: Bei diesem Spektrum an Sichtweisen, Kulturen, Entwicklungsständen der Arbeitssicherheit gab es sicher Kontroversen. Zum DIS im März 2016 gingen beispielsweise rund 3.000 Kommentare beim Komitee ISO/PC283 ein. Welche Schlüsselthemen wurden diskutiert?
Marx: Sie fragen ja nach den Gründen für die Verzögerung. Weltweit haben über 3.000 Kommentare dazu geführt, dass der DIS mit knapper Mehrheit abgelehnt wurde. Das heißt, wir mussten in einen zweiten DIS gehen, so ist der formelle Weg. Die vielen Kommentare berührten wichtige Kernbereiche, und es war offensichtlich, dass hier verschiedene Arbeitsschutzkulturen aufeinander trafen.
Petersen: Können Sie dafür Beispiele nennen?
Marx: In Ländern wie Deutschland mit sehr guten Arbeitsschutzregelungen ist durch den Staat und die gesetzlichen Unfallversicherungsträger wie die Berufsgenossenschaften im Prinzip alles festgelegt. Aber nicht jeder Staat verfügt über so hohe Standards. Jedoch merkt man, dass auch diese Länder den Arbeitsschutz vorantreiben wollen. Formuliert wurden Forderungen, dass Unternehmen u. a. persönliche Schutzausrüstungen kostenfrei zur Verfügung stellen. Dies ist kein Thema in entwickelten Ländern, aber in Schwellenländern oder der Dritten Welt ein großes Problem. Deswegen hatten die Staaten Interesse daran, derartige Anforderungen in die Norm zu bringen. Auch die International Labour Organisation (ILO) spielte in den Verhandlungen eine wesentliche Rolle. Die ILO wollte das auch forcieren. Aber: Bei der Norm geht es um einen Standard für Arbeitsschutzmanagementsysteme, also um das Management, und nicht um die Inhalte, die zu regeln sind. Diese Diskrepanz steckte auch in den 3.000 Kommentaren. Da prallten Welten aufeinander.
Petersen: Ja klar, in Deutschland existieren die gesetzlichen Vorgaben und das Managementsystem stellt nur die Rahmenbedingen. Wo aber die Regeln fehlen, konnte man sie auf diesem Weg in die Diskussion werfen und einführen.
Marx: Die Regeln sind das eine, ich muss aber auch die Umsetzung überwachen und sicherstellen können. Den Standard und die Anforderungen allein von Zertifizierern zu prüfen, kann keine staat-liche Arbeitsschutzkontrolle ersetzen. Also zu glauben, wenn ein Unternehmen diesen Standard erfüllt, werden die Inhalte auch wirklich so umgesetzt, das ist etwas zu kurz gedacht. Es muss auch eine Kontrolle dahinter stehen.
Petersen: Und die ist wahrscheinlich in vielen der beteiligten Länder noch gar nicht geregelt.
Marx: … oder noch gar nicht in dem Maße vorhanden, weil die Umsetzung von Anforderungen möglicherweise durch Bestechungsgelder nicht verlässlich geprüft wird. Das ist in manchen Staaten leider immer noch ein Thema. Nicht ohne Grund spricht die ISO 37001 „Anti-bribery management systems“ diese Thematik an. Durch ihre Anwendung sollen Unternehmen in die Lage versetzt werden, Bestechlichkeit zu vermeiden, aufzudecken und angemessen darauf reagieren zu können.
Petersen: Da werden sicher weitere interessante Arbeitsfelder angerissen – auch in dieser großen Diskussion um die endgültigen Vorgaben in der ISO.
Okay – kommen wir zu einem Detail, das ich im Zusammenhang mit Arbeitssicherheit besonders spannend finde. Stichwort: Beteiligung und Konsultation der Beschäftigten, wie im Abschnitt 5.4 konkretisiert. Wo genau lagen in der Diskussion die Unterschiede?
Marx: Ja, wir sprechen über viele Facetten beim Thema Konsultation/Partizipation. Und natürlich ist die in einem AMS, wo es um die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten geht, auch notwendig. Das erklären wir gerade als Berufsgenossenschaft den Unternehmen in Deutschland immer wieder. Denken wir an die Gefährdungsbeurteilung/Beurteilung der Arbeitsbedingungen und an Verbesserungsmaßnahmen am Arbeitsplatz – das geht nur mit den Beschäftigen. Und das ist auch gut so und es ist gut geregelt.
Auch da besteht das Problem in den unterschiedlichen Kulturen. Wir in Deutschland haben über das Betriebsverfassungsgesetz Regelungen mit den Betriebsräten und wir haben die Gewerkschaften. Diese Konstruktion kennen viele Staaten so nicht. Sie sehen im Bereich Beteiligung/Mitwirkung auch Mitbestimmung. Wo also Betriebsräte unbekannt sind, sagt man: Gewerkschaften sind Mitarbeitervertretungen – die wirken mit und sollen beim Aufbau eines AMS einbezogen werden.
Deshalb war das Kapitel Konsultation/Partizipation ganz klar und sauber zu formulieren; auch, damit es bei uns in Deutschland in bestimmten Bereichen nicht ungewollt in eine Mitbestimmung ausufert. Stellen Sie sich nur vor: Kleine Betriebe ohne Betriebsvertretung müssten die Gewerkschaft mit ins Boot holen, um ein AMS einzuführen/um damit die Norm zu erfüllen. Das stelle ich mir sehr schwierig vor. Und die Akzeptanz bei den Unternehmen in Deutschland würde deutlich sinken, wenn in der Norm derart hohe Forderungen enthalten wären.
Petersen: Die wichtigen Stichworte für den Arbeitsschutz haben Sie genannt: Mitarbeiterbeteiligung bei der Gefährdungsanalyse und die kontinuierliche Verbesserung am Arbeitsplatz. Darauf kommt es an und hier haben wir ja auch die eigentlichen Experten. Würde die Diskussion auf Ge-werkschaftsebene geführt, rückten wahrscheinlich andere Themen in den Vordergrund. Die Beteiligung bei der ganz konkreten Arbeitssicherheit im persönlichen Arbeitsumfeld geriete wohlmöglich in den Hintergrund.
Es gab aber noch ein weiteres Stichwort, das bei der Erarbeitung von ISO 45001 kontrovers diskutiert wurde: Risiko. Herr Marx, können Sie den Sachverhalt genauer erläutern?
Marx: Die Erarbeitung der ISO 45001 unterlag der neuen High Level Structure, weil die ISO-Bearbeitungsgrundlagen diese jetzt für alle Normen im Bereich Managementsysteme fordert.
Mit ISO 9001 und ISO 14001 fing es an: In zehn Kapiteln dieselbe Struktur – so wurde auch die Norm ISO 45001 umgesetzt. Alle Festlegungen in der Struktur mussten 1:1 übernommen werden. Es existiert ein Rohtext, den man beliebig ergänzen, aber nicht kürzen darf. Und dort ist zum Beispiel die Definition von Risiko festgelegt. Sie zielt auf das generelle Risiko für die Unternehmen ab. Wobei das Risiko negativ oder positiv behaftet ist. So ist diese Definition verbindlich festgelegt. Wenn Managementsystemprozesse nicht richtig laufen, entstehen natürlich solche Risiken für das Management.
Im Arbeitsschutz ist der Risikobegriff aber in Bezug auf den Menschen, den Beschäftigten – Verletzungs-/Erkrankungsrisiko bei der Arbeit – verankert, was ein negativ behaftetes Risiko bedeutet. Deswegen brauchten wir neben der Definition des Risikos für die Organisation eine spezielle Definition für das Arbeitsschutzrisiko. Und die wurde mit aufgenommen. Zudem wurde in der High Level Structure festgelegt, dass neben Risiken auch Chancen zu beurteilen und zu bewerten sind.
Gerade im Bereich von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit lassen sich viele Chancen entwickeln, um die Arbeitsbedingungen und die Gesundheit der Beschäftigten zu verbessern. Dieser neue Ansatz in der Norm ISO 45001 unterscheidet sie von OHSAS 18001. Neue Denkstrukturen erlauben einen erweiterten Gesundheitsgedanken mit Risiken und Chancen. Und die Unternehmen müssen Lösungen finden, wie sie das in ihrem Betrieb umsetzen.
Petersen: Damit sind wir bei einem sehr wichtigen Punkt angekommen: Worin liegen aus Ihrer Sicht die größten Unterschiede zur OHSAS 18001, welche durch die neue Arbeitsschutznorm ISO 45001 abgelöst wird ?
Marx: Einmal dort, wo die Risiken- und Chancenbetrachtung und das damit verbundene positive Risiko tatsächlich mit Leben zu füllen wäre. Zudem ist der Kontext von Organisationen wesentlich erweitert, nicht nur beim Arbeitsschutz, sondern auch in Bezug auf die Gesellschaft, bis hin zur Beziehung mit anderen Unternehmen. Der Kontext, das gesamte zu betrachtende Umfeld von Unternehmen wurde also deutlich vergrößert.
Es galt an vieles zu denken und es entsprechend zu regeln, insbesondere der Nachweis der Um-setzung von rechtlichen und anderen Verpflichtungen. Das ist umfangreicher als bei der bisherigen OHSAS 18001. Unternehmen, die die Normen ISO 9001 und ISO 14001 in der neuen Struktur bereits umsetzen, werden sich aber in der ISO 45001 schneller zurechtfinden. Die einheitliche Struktur bietet den großen Vorteil, dass alle drei Normen sehr gut in ein Managementsystem zu integrieren sind. Gerade deshalb wurde diese Struktur gewählt und vorgegeben.
Petersen: Okay, halten wir also die zwei Punkte fest:
A) Die Einhaltung von Vorschriften war in der OHSAS 18001 nicht so dezidiert gefordert – hab ich das richtig verstanden?
B) Und der Tellerrand, über den man schaut, ist etwas weiter gesteckt
Marx: Also so ist das absolut nicht zu verstehen, da Anforderungen zur Berücksichtigung rechtlicher Verpflichtungen und anderer Anforderungen bereits in der OHSAS 18001 vorhanden waren. Neu ist aber, dass nicht nur die reine Berücksichtigung, sondern Compliance (Regelkonformität) mit den rechtlichen Verpflichtungen nachzuweisen ist. Führungskräfte werden eine deutlich größere Arbeitsschutzverantwortung wahrnehmen müssen. Vom AMS- bzw. Qualitätsmanagement-Beauftragten ist wegen der zugrunde liegenden High Level Structure nicht mehr die Rede. Alle Führungskräfte des Top-Managements müssen im Arbeitsschutz tätig werden. Auch verlangt die Norm, dass sich die Führungskräfte ihrer Rolle im Arbeitsschutz bewusst sind und entsprechend agieren. Wir als Berufsgenossenschaft wollen den Arbeitsschutz von je her im Management verankert sehen.
Veranstaltungshinweis:
Impulse für den Arbeitsschutz – Revision ISO 45001
Steigt man in ein Arbeitsschutzmanagementsystem ein oder von OHSAS 18001 auf ISO 45001 um? Antworten auf diese Frage und Impulse für ihre Managementsysteme erhalten Interessenten während der eintägigen Veranstaltung, die gemeinsam von der Deutschen Gesellschaft für Qualität (DGQ), dem Deutschen Institut für Normung (DIN) und der Deutschen Gesellschaft zur Zertifizierung von Managementsystemen (DQS) veranstaltet wird. Die Referenten berichten über den aktuellen Stand der Norm und informieren über die neuen Anforderungen. Teilnehmer profitieren von Informationen aus erster Hand, langjähriger Erfahrung und unterschiedlichen Perspektiven aus Zertifizierung und Beratung – direkt aus der Wiege der Norm.
Die Veranstaltung findet am 18. April in Hamm statt. Die Buchung der Veranstaltungen erfolgt über www.beuth.de.
Weitere Informationen zu den Veranstaltungen und den Programminhalten unter www.isorevision.de
Über die Autoren
Susanne Petersen (Jahrgang 1961) ist Umweltschutz-Ingenieurin (TU Berlin) und Arbeitssicherheitsfachkraft. Sie lebt und arbeitet heute in Mannheim. Seit 1998 berät und unterstützt sie Unternehmen dabei, ihren Zielen in Fragen der Qualität, der Arbeitssicherheit, der Gesundheit und des Umweltschutzes näher zu kommen – mit und ohne Zertifikat. Dabei liegt ihr Fokus als Change-Begleiterin und Coach beim Menschen als Akteur und Umsetzer, was sich auch in ihrem 2016 veröffentlichten Fachbuch „Führung und Zusammenarbeit in Managementsystemen – Der Faktor Mensch in der ISO 9001, ISO 14001 und OHSAS 18001“ widerspiegelt. |
Uwe Marx (Jahrgang 1962) ist Ingenieur der Elektrotechnik. Er lebt und arbeitet in Ludwigsburg – dort in der Bezirksverwaltung der VBG – Verwaltungs-Berufsgenossenschaft, Bereich Prävention. Hier fungiert er als Leiter der AMS Begutachtungsstelle der VBG und als AMS-Begutachter und Auditor, kennt also die Situation der Mitgliedsunternehmen in Sachen Arbeitsschutzmanagement aus erster Hand. |
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