Interview: „Ein wichtiger Fokus liegt auf den Prozessen“19 | 02 | 21
Im aktuellen Themenmonat beschäftigt sich die DGQ mit der Fragestellung, wie Unternehmen in Krisenzeiten agieren und welche Auswirkung die individuelle Situation auf die Qualität hat. Jörg Rittker, Leiter des Qualitäts- & Umweltmanagements der Dr. Fritz Faulhaber GmbH & Co. KG, berichtet davon, wie schnell der Wechsel zu einem Remote Audit gelingen kann und worauf es bei den Prozessen einer Organisation ankommt, um anpassungsfähig zu bleiben.
Wo gab es bei Ihnen im Unternehmen die größten Veränderungen im Zuge der Corona-Krise?
Die größte Veränderung hat sicherlich das „Arbeiten auf Distanz“ mit sich gebracht. Am ersten Tag des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 standen unsere Überwachungsaudits nach ISO 9001, ISO 13485 und ISO 14001 an. Damit wir diese unter den geänderten Gegebenheiten durchführen konnten, waren die EDV und ich das gesamte Wochenende beschäftigt. Anschließend mussten noch unser Zertifizierer und auch die Auditoren mitgenommen werden. Ein Auditor war zu diesem Zeitpunkt wegen eines Risikokontakts selbst in Quarantäne und ein anderer Auditor nur noch aus dem Homeoffice tätig. Wir haben also mit schwindelerregender Geschwindigkeit unsere Erfahrungen mit Remote Audits gemacht. Glücklicherweise hat alles geklappt. Die Leitungen waren stabil, die Software funktionierte und die notwendigen Dokumente und anderen Nachweise konnten vorgelegt werden.
Aber auch die Zusammenarbeit im Team hat sich verändert. Die morgendliche Abstimmung musste „virtualisiert“ und Besprechungen per EDV-Tool durchgeführt werden. Insbesondere im Qualitätsmanagement ist das eine echte Herausforderung, da man oftmals auf den persönlichen Kontakt angewiesen ist, um erkennen zu können, wo Widerstände oder Missverständnisse herrschen.
Auch die Durchführung von Workshops – insbesondere international – sind eine Herausforderung. Wenn man sich nicht vor Ort treffen kann, dann befinden sich Teilnehmer folglich in unterschiedlichen Zeitzonen. Somit hat man eben keine acht oder neun Stunden Zeit für den Workshop. Es gibt auch kein gemeinsames Abendessen, um das Team zusammenzubringen. Für ein internationales Projekt zur flächendeckenden Zertifizierung einer Unternehmensgruppe nach ISO 14001 ist das schon eine wirkliche Herausforderung. Das funktioniert nur, wenn man sich mit der Welt des Lean Managements und auch mit agilen Werkzeugen schon etwas beschäftigt hat. Aber wir sind auf Kurs und die Projektteilnehmer haben sich virtuell miteinander vertraut gemacht, nun wird es eben erst zum Projektende eine Party geben.
Die Kontakte zu Lieferanten haben sich ebenfalls verändert. Insbesondere die Reisebeschränkungen haben die Audits natürlich erschwert. Nach dem ersten „Schockzustand“ mussten wir also andere Mittel und Wege finden. Aber auch das ist soweit geglückt, sodass es keine nachvollziehbaren Einbußen bei der Produktqualität gibt.
Was ist jetzt hinsichtlich Qualität und QM in den Fokus gerückt?
Ein wichtiger Fokus liegt auf den Prozessen. Die Organisation sollte möglichst widerspruchsfrei sein und dennoch Anpassungsmöglichkeiten offenlassen.
Die Anpassungsmöglichkeiten müssen aber dennoch so konsequent sein, dass auch für ferne Standorte klare Regeln gelten, wie in Einzelfällen zu agieren ist. Hier zeigt sich, dass auch Managementsysteme ein gewisses Maß an „Resilienz“ benötigen, damit sie belastbar sind und auch unter widrigen Umständen weiterentwickelt werden können. Deshalb werden wir weiterhin daran arbeiten, unser Managementsystem in Richtung Agilität auszulegen und zu leben.
Ein anderer Aspekt ist der menschliche Faktor. Wenn Menschen sich vertrauen, dann können sie auch über die Distanz zusammenarbeiten und Lösungen finden. Dann ist nicht jede „Abweichung“ gleich ein Vorwurf. Aber auch hier ist es immer wieder notwendig, aktiv zu hinterfragen und den Input aller Beteiligten einzuholen. Auf Basis des Manifestes für menschliche Führung („Manifesto for Human Leadership“) kann man solche Situationen dann erfolgreich moderieren und Chancen bieten, um kreative Lösung zu entwickeln.
Welche Projekte haben Sie angestoßen, vorgezogen oder fallengelassen?
Anfangs fielen auch wir in eine Schockstarre und haben alle geplanten Projekte geschoben. Aber letztendlich mussten wir erkennen, dass Covid-19 morgen nicht weg sein wird. So haben wir die Projekte wieder auf die Agenda gesetzt und eines nach dem anderen gestartet. Teilweise war der Zeitbedarf deutlich höher. Statt eines dreitägigen Kick-off für das Projekt ISO 14001 haben wir uns an mehreren Tagen für ca. drei Stunden getroffen, um voran zu kommen.
Die Zusammenarbeit mit Entwicklungsprojekten war selbstverständlich auch schwierig, alles musste remote stattfinden. Aber die Teams haben sich gefunden und auch die interne Abstimmung konnte gewährleistet werden. Vor diesem Hintergrund wurden keine Projekte „fallengelassen“, selbst geplante Verlagerungen von Produktionen werden weiterverfolgt.
In der EDV haben wir allerdings neue Prioritäten gesetzt. Insbesondere Projekte, die die Digitalisierung der Geschäftsprozesse fördern, wurden mit Hochdruck verfolgt. Auch die Kundenbetreuung per Videokonferenz hat an Bedeutung zugenommen. Dort, wo bis vor kurzem der Besuch vor Ort gewünscht war, kann nun die Diskussion auf Distanz stattfinden. Auch hier war etwas Gewöhnung notwendig, aber nun funktioniert auch das. Ein positiver Nebeneffekt: ab und an erhält man sogar interessante Einblicke in die persönliche Situation der Kunden.
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