DIN EN ISO 26000:2020-08: Leitfaden zur gesellschaftlichen Verantwortung2 | 12 | 20

Meinungsäußerung zu Sinn und Inhalt der Norm von DGQ-Mitglied Dipl.-Ing. Wolfgang Schlenzig

Zunächst einmal gebührt den Autoren der Norm DIN EN ISO 26000:2020-08 großer Dank, dass sie sich diesem immer aktueller und akuter werdenden Thema nach 10 Jahren mit großem Fleiß erneut angenommen und den Standard redaktionell überarbeitet haben.

Diese neue Ausarbeitung bekommt alleine deswegen einen umfassenden, universellen Charakter, weil sich an dem von Schweden und Brasilien geleiteten ISO-Sekretariat Fachleute aus über 90 Staaten sowie 40 internationalen oder regionalen Organisationen beteiligten. Zudem vertraten diese Fachleute alle Anspruchsgruppen: Konsumenten, Behörden, die Wirtschaft, Erwerbstätige, Nichtregierungsorganisationen (NROs), sowie Dienstleistung, Beratung, Forschung, Wissenschaft und weitere Bereiche. Auch berücksichtigt der daraus entstandene Text ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Industrie- und Entwicklungsländern sowie zwischen den Geschlechtern. Es geht also nicht nur um Unternehmen, sondern um alle Organisationen, z. B. auch um Administrationen, Parteien, Verbände, Vereine.

Ein konkreter Blick in den Leitfaden

Der Entwurf des Leitfadens von 2020 ist ein sehr umfangreiches Kompendium von Definitionen, Standpunkten, Zielstellungen und Handlungsempfehlungen für nachhaltiges und gesellschaftlich verantwortungsvolles Handeln. Ich benötigte mehrere Wochen, um den Inhalt genau zu studieren und zu verstehen und Zusammenhänge ebenso zu erkennen wie die Konsequenzen, die sich für die Interessenspartner aus den einzelnen Handlungsempfehlungen ergeben.

Ich erlaube mir, einmal zwei Begriffsdefinitionen aus dieser Norm anzuführen, deren Inhalt wir uns alle genau und detailliert „auf der Zunge zergehen“ lassen sollten:

2.4       gebührende Sorgfalt (en: due diligence): umfassender, vorausschauender Prozess der Erfassung der tatsächlichen und möglichen negativen sozialen, umweltbezogenen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Entscheidungen und Aktivitäten einer Organisation über den gesamten Verlauf eines Projektes oder einer Aktivität der Organisation hinweg mit dem Ziel, negative Auswirkungen zu vermeiden oder zu verringern.     

2.18     gesellschaftliche Verantwortung

Verantwortung einer Organisation für die Auswirkungen ihrer Entscheidungen und Aktivitäten auf die Gesellschaft und die Umwelt durch transparentes und ethisches Verhalten, das

  • zur nachhaltigen Entwicklung, Gesundheit und Gemeinwohl eingeschlossen, beiträgt;
  • die Erwartungen der Anspruchsgruppen berücksichtigt,
  • anwendbares Recht einhält und im Einklang mit internationalen Verhaltensstandards steht;
  • in der gesamten Organisation integriert ist und in ihren Beziehungen gelebt wird.

Diese Begrifflichkeiten sind an sich nicht neu, sie standen auch schon in der vorherigen Version des Standards. Doch gerade jetzt, da immer mehr nach einer Transformation des Gesellschaftssystems gerufen wird, angesichts des rasanten Klimawandels, der steigenden egoistischen Profitorientierung und der zunehmenden sozialen Spaltung – gerade jetzt erscheinen diese Definitionen noch aktueller, wichtiger, notwendiger.

Berufsbild Klimaschutzmanager
Kommunen und Unternehmen werden sich zunehmend ihrer Verantwortung für und den Herausforderungen durch den Klimawandel bewusst. Sie suchen daher immer häufiger nach Fachexperten, die sie bei der Umsetzung von Klimaschutzstrategien unterstützen können. Durch ihre Tätigkeit tragen Klimaschutzmanager dazu bei, Treibhausgasemissionen der Unternehmen und Kommunen zu reduzieren. Antworten auf die wichtigsten Fragen finden Sie in unserem Berufsbild zum Klimaschutzmanager:

  • Was ist ein Klimaschutzmanager?
  • Welche Aufgaben betreuen Klimaschutzmanager?
  • Wie werde ich Klimaschutzmanager?
  • Welche Weiter­bildungs­möglich­keiten gibt es?
  • Wie viel verdient ein Klimaschutzmanager?
  • Welche Karrieremöglichkeiten gibt es?

Zum Berufsbild Klimaschutzmanager »

 

Zu schön um wahr zu sein?

Doch je länger ich über diese Beschreibungen nachdachte, desto mehr stellte ich fest, dass der Inhalt dieses Normentwurfes den Profitinteressen sowie den allgemeinen Handlungsgewohnheiten privatkapitalistischer Organisationen zuwider läuft. Wir haben es deshalb hier mit einer aus meiner Sicht utopischen Ausarbeitung zu tun. Das ist alles richtig, gar toll, was da aufgeschrieben steht. Man möchte ausrufen „Ja! Richtig! So müssten es alle machen!‘“. Aber dann hätten wir keinen Kapitalismus mehr. Kosten drücken, sich auf das Kerngeschäft konzentrieren (wie es so schön heißt), im globalen Wettbewerb (gemeint ist der brutale Konkurrenzkampf!) bestehen, lässt wenig bis keinen Raum für Denken und Handeln außerhalb des Profitstrebens, der Existenzerhaltung. Und Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung nach dieser Norm zu praktizieren ist mit (unproduktivem Zusatz-)Aufwand an Zeit, Material, Personal und finanziellen Mitteln verbunden. Ja, es gibt Beispiele von Unternehmen, die dies auf sich nehmen. Aber tausendfach mehr Beispiele gibt es, die keine Sekunde für diese edlen Ziele verschwenden.

Diese Norm ist somit eine gesellschafts-organisatorische und -philosophische Grundsatzarbeit, eine Anleitung zum Paradigmenwechsel, zum Systemwechsel und man kann nur hoffen, dass alles das, was jetzt drinsteht, bis zur fertigen Norm auch so drin bleibt. Aber, und das ist meine Kritik an dieser Ausarbeitung, wer hat schon die Kraft und nimmt sich die Zeit, sich durch die 140 Seiten (ohne Literaturverzeichnis) dieser Norm zu kämpfen und die für ihn relevanten Abschnitte zu identifizieren und so dann auch zu handeln?

Somit ist zu befürchten, dass dieser Leitfaden für soziale Verantwortung leider ein einsames, akademisches Werk bleibt. Trotzdem: die Autoren, die Distributoren und die diese Norm dann verwendenden Multiplikatoren sollten es als ihre edle Aufgabe sehen, diese Norm und deren Inhalt zu Propagieren.

Über den Autor: Wolfgang Schlenzig

Dipl.-Ing. Wolfgang Schlenzig ist freiberuflicher QM- und Organisations-Berater und seit 30 Jahren DGQ-Mitglied. Er ist Vorstandsmitglied im VDI Berlin-Brandenburg (VDI-BB) und Leiter des Arbeitskreises „Systementwicklung, Qualitäts- und Projektmanagement“ im VDI-BB. In dieser Funktion arbeitet er regelmäßig mit Institutionen wie der DGQ, der GPM, dem VDE, GfO sowie den QM-Lehrstühlen der TU-Berlin und der BTU Cottbus zusammen.

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