Darf ich Sie ‘mal ‘was fragen? – Spielen Sie mit beim Qualitätstheater?26 | 10 | 22

Zu dieser Frage hat mich Lars Vollmer inspiriert, den ich letzte Woche auf einer Konferenz des DGQ-Mitglieds Quality Miners kennenlernte. Titel seines unterhaltenden und inhaltsstarken Vortrags: „Qualitätstheater“. Ich bin ihm dankbar für seinen Begriff, er benennt sehr trefflich ein Phänomen, dass ich lange zu kennen glaube, für das ich bisher aber keinen so trefflichen Namen hatte. Qualitätstheater ist Teil eines größeren Spieles, dass Lars Business-Theater nennt (sein Buch dazu „Zurück an die Arbeit – Wie aus Business-Theatern wieder echte Unternehmen werden.“).

Theater im Unternehmen ist, wenn Führungskräfte, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Dinge tun, die sich nicht in Wertschöpfung für Kunden auszahlen, sondern die andere Bedürfnisse und die Bedürfnisse anderer befriedigen. Bedürfnisse von Führungskräften, Auditorinnen und Auditoren, Beratern und Beraterinnen, Managementgurus, der Fachcommunity, … , nach Anerkennung, dem Überspielen von Schwächen, nach Sichtbarkeit oder im Gegenteil nach Unsichtbarkeit, sowie manchmal der Lust am Rollenspiel, am Schauspiel.

Viele 2nd und 3rd-Party Audits sind – sogar vorab miteinander geprobtes – Theater. Viele 8D Reports und sogar manche Reklamationen sind Theater. Viele Meetings, Mitarbeitergespräche, Quartalsberichte: Theater. FMEAs, Agilität, Leitbilder, Qualitätspolitik, Prozesslandschaften: oft nur Theater.

Das bedeutet ja nicht, dass das per se schlechte Methoden, Ansätze oder Konzepte sind. All dies ließe und lässt sich ganz ohne Theater wertschöpfend anwenden. Machen wir aber zu oft nicht. Manchmal sind wir selbst die Schauspieler auf der Bühne, manchmal das fordernde Publikum, dass andere auf der Bühne zu schauspielerischen Höchstleistungen antreibt. Und manchmal vergessen wir sogar, dass wir Qualitätstheater spielen und glauben, unsere Darbietung sei wirklich das reale Leben. Dann wird’s komisch oder gefährlich.

Erleben Sie Business-Theater? Wer spielt es und verstehen Sie warum? Welche Stücke kennen Sie, was wird bei Ihnen immer wieder aufgeführt? Wann und warum spielen Sie selbst? Haben Sie schon einmal Qualitätstheater veranstaltet, dabei mitgespielt? Und wenn Sie behaupten, sie machen nie Theater, ist das nicht auch Theater? Wem wollen Sie gefallen, in ihren Rollen? Wer soll ihnen gefallen wollen? Wen bringen Sie dazu, Ihnen Theater vorzuspielen? Wollen und können wir damit aufhören? Wie gelingt uns das?

Über den Autor: Benedikt Sommerhoff

Benedikt Sommerhoff leitet bei der DGQ das Themenfeld Qualität & Innovation. Er beobachtet, analysiert und interpretiert die Paradigmenwechsel und Trends in Gesellschaft und Wirtschaft sowie ihre Wirkungen auf das Qualitätsmanagement. Seine zahlreichen Impulse in Form von Publikationen und inspirierenden Vorträgen geben Orientierung in Zeiten des Wandels. Sie ermutigen zur Neukonzeption des Qualitätsmanagements und der Qualitätssicherung. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten des DGQ-Netzwerks aus Praxis und Wissenschaft arbeitet Sommerhoff in Think Tanks und Pionierprojekten an der Entwicklung, Pilotierung und Vermittlung innovativer Konzepte und Methoden.

10 Kommentare bei “Darf ich Sie ‘mal ‘was fragen? – Spielen Sie mit beim Qualitätstheater?”

  1. 26c0aeaafd7f863ac6f8c4db26f1a74d Andrea Schranck sagt:

    Ja kenn ich: Das morgendliche Produktionstreffen mit dem cholerischen Geschäftsleiter lief intern nur unter „Sammelanschiss“ und das „Managementmeeting“ in einer anderen Firma wurde dominiert von „Mrs. Root- Cause“, bei der alle um 9 Uhr schon die Ergebnisse des Tages bringen mussten und mit Arbeit für die nächsten zwei Tage entlassen wurden. Vielleicht liegt es ja daran, dass wir uns zu Tode dokumentieren und die Anforderungen ja immer umfangreicher werden anstatt simpler und – ja auch digitaler. Hier liegt auch der Hase im Pfeffer – die Digitalisierung ist vielerorts noch in der Windelphase, wo Dokumente trotz allem noch mehrfach gedruckt und umständlich archiviert werden. Aber keine Sorge, viele Firmen werden sich den „Wasserkopf“ aus Analysten, QM-lern und anderen Selbstverwaltern nicht mehr lange leisten können. Vielleicht besinnt sich der/die ein oder andere dann ein solides Handwerk zu lernen – da fehlts nämlich!

    1. 12fad89dbfa0bd7577219e8081bbd19e Benedikt Sommerhoff sagt:

      Danke für die anschaulichen Beispiele. Digitalisierung in der Windelphase, ja, das finde ich trefflich gesagt.

  2. Pasqual Jahns sagt:

    Ich denke die Dosis macht das Gift. Wenn man den Anforderungskatalog nicht einfach nur abspult, sondern vorher überlegt, wie die Anforderungen am sinnvollsten (Aufwand vs. Wert) erfüllt werden, hat man denke ich schon halb gewonnen. Wenn man dann auch noch versucht echte Probleme mit den richtigen Werkzeugen zu lösen, spricht vermutlich auch keiner mehr von „Qualitätstheater“. 😉

    1. 12fad89dbfa0bd7577219e8081bbd19e Benedikt Sommerhoff sagt:

      Stimme zu. Wenn man stattdessen kein Werkzeugtheater startet.

  3. Dieses Theater kostet der Wirtschaft täglich viel Geld. Nur wer führt in diesem Theater die Regie?
    – Sind es die Top Manager die nur Shareholder getrieben sind,
    – Sind es Führungskräfte die nur ihre Karriere im Kopf haben,
    – Sind es Managementsystembeauftragte – die glauben mit Managementystemen die Welt retten zu können
    – Sind es Zertifizierungsauditoren – die glauben alles besser zu wissen
    – Sind es die Zertifizierungsgesellschafte die um Marktanteile kämpfen
    – Ist es die DAkkS – die spannende Vorgaben macht
    – Sind es Weiterbildungseinrichtungen wie z.B. die DGQ, die Seminare entwickelt und Inhalte vermittelt die ggf. Realitätsfremd sind
    – Sind es Standards, wie z.B. IATF 16949, die statt etwas zu verbessern eher Waste erzeugen
    – Sind es Methoden, wie z.B. 8D, die zu Discountwerkzeugen verkommen sind
    – Sind es ????

    Die Regie in diesem, von dir angesprochenen Business-Theater führen wohl zu viele. Zum Glück gibt es noch wirkliche Unternehmer, die selbst Regie führen und das Standing haben, andere, die gerne Regie führen möchten, nicht mitspielen zu lassen.

    1. 12fad89dbfa0bd7577219e8081bbd19e Benedikt Sommerhoff sagt:

      Sehr gute Frage nach der Regie. Ich vermute, einige Theaterformate entspringen zum Teil kollektiven Sozialisationen und (Un)Kulturen, die in einigen Milieus (die großen Beratungsunternehmen inkl. Alumni, …) bestehen.
      Es ist an jeder und jedem Einzelnen, Rollenspiele, Business-Theater zu hinterfragen und da nicht immer, nicht so inbrünstig oder gar nicht mitzuspielen. Entziehen sich Leitungen und Führungskräfte dem Theater, hat das natürlich eine große und positive Wirkung und die Chance, Kulturen zu verändern.

    2. 5abe067548e0a979d6e07b8684337c7a Martin Cziudaj (Tel. 06008-930400) sagt:

      Hallo Herr Roggensack,
      Danke für diese wunderbare (und natürlich nicht vollständige) Auflistung, die einem bei genauer Analyse durchaus den Spaß am QM-„System“ rauben kann.

      Die Frage darf allerdings nicht heißen „Wer führt Regie?“ sondern „Welche Interessen leiten im Kern die vielen real existierenden Stakeholder, die alle von einem immer größer werdenden Kuchen „QM“ profitieren?“ oder „In welchem Maße trägt jede einzelne QM-Aktivität tatsächlich zu einem Gesamt-Nutzen für das Unternehmen bei, der den (Macht-)Apparat „QM“ mit seinen vielfältigen „Stakeholdern“ (Profiteuren? Regisseuren? (abgehängten, frustrierten) Mitläufern?) in der konkret realisierten (verfestigten?) Struktur und Konzeption rechtfertigt?“.

      Der Gesprächsbedarf an diesem Punkt überschreitet leider bei weitem die Kapazität der vielen überaus fleißigen und höchst engagiert schuftenden QM-ler: laufendes Normenstudium, laufende Entwicklung neuer Normen, Abgrenzung zu anderen Normen und Zuständigkeiten, strebsame Weiterbildung, beflissenes Abfüllen von altem Wein in neue (oder nur mit neuen Etiketten vollgekleisterten) Flaschen (der Wein wird dabei nicht unbedingt besser), aufopfernde Kämpfe gegen jede Art von Abweichungen und (als einzige emotionale Entlastung) ständiges Klagen über die meist unfähigen „Chefs/Mitarbeiter/Lieferanten/Politiker/Bürokraten …“ und vor diesem Hintergrund der Zwang zur ständigen Ver(schlimm)besserung führt nachweisbar zu völliger Überlastung und Unersetzlichkeit. Und dann kommen noch Corona und Putin und Xi und … und … – und die TOP-Qualitätsprodukte (0,001 ppm!) verschimmeln in irgendwelchen globalen JIT-Lieferketten („zuständig“ ist glücklicherweise der Kollege „Logistik“). Und jetzt verweigert auch noch die GL (zuständig für Strategie und Geschäftsergebnisse) höchst engstirnig die dringend benötigten Mitarbeiter für die Corona-Tests im QS-Labor …

      Ich gebe sofort zu: Dieser Beitrag ist höchst unsachlich, zynisch, ungerecht, wissenschaftlich nicht im geringsten haltbar und führt insbesondere an keiner Stelle innerhalb des QM-Theaters weiter, so dass sich jeder Widerspruch (siehe -> Muda!) erübrigt.
      Mit optimistischen Grüßen

      1. 12fad89dbfa0bd7577219e8081bbd19e Benedikt Sommerhoff sagt:

        Ich finde Ihren Beitrag weder zynisch noch ungerecht. Ich finde ihn wertvoll, weil Sie eine weit verbreitete Überforderungssituation sehr plastisch schildern. Dass Sie das so machen, lässt mich annehmen, dass es Ihnen am Herzen liegt, diese Situation anzusprechen, damit wir etwas daran ändern können. Ändern könnten die Protagonisten ja, wenn sie aus ihrer Alltagsblase ausbrechen würden. Als DGQ richten wir den kritischen, oft schmerzhaften Blick auf Wirkung und Akzeptanz des Tuns im Qualitätsmanagement. Und müssen erkennen, dass vieles, was einmal wirksam war, unter veränderten Rahmenbedingungen weniger oder nicht mehr wirksam ist. Dass es nachvollziehbare Gründe gibt, warum QM und QS an Akzeptanz verloren haben. Das ist aber umkehrbar, veränderbar, heilbar, bedeutet aber harte, anhaltende Veränderungsarbeit. Wege dafür zeigt die DGQ auf. Nicht nur, aber auch hier: https://www.hanser-kundencenter.de/fachbuch/artikel/9783446455733
        Und in den DGQ Fachkreise arbeiten DGQ Mitglieder klug und engagiert an der Gegenwarts- und Zukunftsfähigkeit des QM.
        Danke also für Ihren dringlichen Schubser.

  4. 53f93a1b8cb92671ceaba1219c605887 Ralf Kohlen sagt:

    Mit wenigen Ausnahmen waren bisher alle externen Audits, die ich begleitet habe, Theater!

    „Für die szenische Darstellung werden die Schauplätze aufgeräumt und gesäubert oder sie findet direkt in einem Theatersaal, dem Besprechungsraum, statt. Für die künstlerische Kommunikation werden den Akteuren Fragen und Antworten vorgegeben. Wenn die Gefahr besteht, dass ein Kleindarsteller den Text nicht behalten kann oder sich um Kopf und Kragen redet, wird er oder sie auch gerne beurlaubt. Dann gibt es noch die Akteure der „Obersten Leitung“, gemäß Drehbuch ISO 9001:2015 mit tragender Rolle. Sie tauchen aber – wenn überhaupt – in der Regel nur im ersten und letzten Akt auf und überlassen es gerne dem Hauptdarsteller QMB, ihre Rolle mit zu übernehmen.“

    So haben wir es in unserem Buch Quality Reinvented! beschrieben.

    1. 12fad89dbfa0bd7577219e8081bbd19e Benedikt Sommerhoff sagt:

      Trefflich, Ralf. Habe Euer Buch doch gelesen, diese Szene aber nicht mehr vor Augen. Vielleicht schwebte sie noch im Unterbewusstsein, als Lars Vollmer mich mit seinem Vortrag dann weiter anspiekste.

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