Die Entwicklung zu nachhaltigeren Unternehmen wird sich nicht aufhalten lassen11 | 03 | 20
Um Unternehmen für die Herausforderung „Nachhaltigkeit“ zu rüsten, kooperieren DGQ und DQS CFS bei diesem Thema. Am 29. Juni startet die Ausbildung zum DGQ-Sustainability Professional in Stuttgart. Claudia Nauta, Produktmanagerin der DGQ Weiterbildung, fragt Dr. Sied Sadek, Geschäftsführer DQS CFS GmbH, warum und wie sich Unternehmen gerade jetzt nachhaltig gut aufstellen müssen.
Herr Dr. Sadek, Nachhaltigkeitsthemen gehören seit vielen Jahren zu Ihrem Kerngeschäft. Welche Entwicklungen stellen Sie aktuell im Kontext von Unternehmen fest?
Medien haben die Nachhaltigkeitsthemen ja schon oft gehypt. Was wir aber derzeit beobachten, ist die nachhaltige Veränderung der Erwartungshaltung von Konsumenten und Lieferketten. Angestoßen wurde diese Entwicklung durch Sozial- und Umwelt-Reportagen und insbesondere durch die Fridays-for-Future-Bewegung. Kunden fangen an, sich mit diesem Thema intensiv zu beschäftigten. Sie stellen kritische Fragen, nutzen Vergleichsmöglichkeiten und informieren sich. Von anderer Seite kommen dann noch Investoren mit dem massiven Anspruch, in nachweislich nachhaltige Geschäfte zu investieren. Der Handlungsdruck auf Unternehmen steigt dadurch enorm, wenn sie – mittlerweile mittelfristig – bestehen wollen.
Politik und Gesetzgebung verhalten sich dagegen für den tatsächlichen Handlungsbedarf noch nicht konsequent genug. Sie lassen sich von den aktuellen öffentlichen Debatten kurzfristig beeinflussen. Langfristige, nachhaltige Konzepte werden von Wirtschaft wie Politik noch nicht in ausreichendem Maße vorangetrieben.
Wie reagieren Unternehmen auf diese Anforderungen?
Das ist schon das Dilemma. Die meisten Unternehmen reagieren nur. Eben meistens, wenn Kunden nachfragen oder ein Thema besonders stark diskutiert wird. Und woran erkennen wir das? Wenn zum Beispiel in der Öffentlichkeit eine aktuelle Debatte um Gleichbehandlung der Geschlechter läuft und im Jahr danach Unternehmen messbar mehr Informationen genau zu diesem Thema in die Berichterstattung der Global Reporting Initiative (GRI) aufnehmen.
Darf ein Unternehmen denn damit rechnen, dass das Nachhaltigkeitsthema nach einer Phase des „Hypes“ wieder spürbar an Bedeutung verliert?
Ganz klar: Nein. Erinnert man sich an die Historie des Umweltthemas, dann gab es anfänglich große Gegenwehr gegen die Einführung von Umweltmanagementsystemen. Es wurde unterschätzt. Heute ist der Standard für die meisten produzierenden Unternehmen eine Selbstverständlichkeit. Das hätte man Ende der 90er auch nicht gedacht. Die gesetzlichen Regelungen zu Umwelt- und Arbeitsschutz, als auch zu Themen wie beispielsweise Korruption, werden in Deutschland immer stärker. Die Entwicklung zu nachhaltigeren Unternehmen wird sich nicht aufhalten lassen. Spätestens, wenn die junge Generation nachrückt und die Managementfunktionen übernimmt, wird es größere Veränderungen geben. Die Generation, die heute zwischen 15 und 30 Jahre alt ist, teilt nachhaltige Werte und ist sensibel für ökologische und soziale Anforderungen.
Welche Rolle spielen soziale Themen in Deutschland?
Auf den ersten Blick denkt man, dass wir in unserer Gesellschaft keinen Handlungsbedarf haben. Einige Unternehmen versuchen jedoch Verantwortung für das Wohl von Mitarbeitern weiterzuschieben. Undurchsichtige Subsysteme und Mindestlohndiskussionen zeigen auch in unserem Land die sozialen Lücken auf. Diskriminierung, Diversity, Gesundheitsschutz, Sicherheit müssen mit den vielen Veränderungen in und um Unternehmen neu gedacht werden. Die Transparenz der Lieferkette ist dabei sehr wichtig.
Was können Unternehmen tun, um sich zu einem nachhaltigen Unternehmen zu entwickeln?
Unternehmen müssen sich langfristig Gedanken machen, wie sich ihre Tätigkeiten und eventuell sogar das Geschäftsmodell an Nachhaltigkeitsinteressen anpassen lassen. Die wenigsten Menschen möchten auf Komfort und moderne Errungenschaften verzichten. Also brauchen Unternehmen Innovationen, die zum Beispiel Ressourcenschonung und gesellschaftliche Fairness sicherstellen.
Die Unternehmen gehen schon ganz unterschiedlich vor, um nachhaltig zu sein oder zu werden. Die Spanne reicht vom Spendenmodell bis hin zu komplett nachhaltigen, neuen Geschäftsmodellen. Wichtig ist es, den passenden Weg für das Unternehmen zu finden, auf Dauer mit nachhaltigen Werten bestehen zu können. Ich nenne das gerne ‚in Balance bleiben‘.
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Wie geht es da heute in den Unternehmen voran?
Erfolgsentscheidend für den Weg zum nachhaltigen Unternehmen ist vor allem, wer da heute vorangeht. In Unternehmen ist häufig zu beobachten, dass das Thema Nachhaltigkeit noch nicht ‚ganz oben‘ angekommen ist. Gleichzeitig soll aber ‚unten‘ etwas gemacht werden. Die ersten, die den Handlungsdruck verspüren, sind Verkäufer und das Marketing. Sie suchen dringend Argumente und Nachweise für Kunden und Lieferketten, inwiefern Produkte und Dienstleistungen nun doch nachhaltig sind. Deshalb liegt die Zuständigkeit für Nachhaltigkeitsthemen sehr oft beim Chief Marketing Officer.
Die zweiten im Boot sind die Einkäufer. Bei ihnen landen in der Regel jede Menge umfangreicher Fragebögen zur Nachhaltigkeit in der Lieferkette. Insbesondere der Mittelstand wird zu allen möglichen Aspekten befragt. Dazu gehören Menschenrechte, Umwelt- und Klimaschutz. Zulieferer werden aus unterschiedlichsten Richtungen mit individuellen Formalerhebungen zugeworfen. Da wäre es durchaus besser, sich an einem Standard wie GRI zu orientieren.
Um ernsthaft Nachhaltigkeit im Unternehmen zu verfolgen, sind Veränderungen in Werten und Handeln notwendig, die nur die obersten Ebenen in ausreichender Geschwindigkeit puschen können.
DGQ und DQS CFS kooperieren bei der neuen Ausbildung zum DGQ-Sustainability Professional. Warum spielen die GRI-Standards so eine wichtige Rolle?
Die Pflichtanforderungen, Empfehlungen und Anleitung von GRI helfen den Unternehmen, auf dem Weg zu Nachhaltigkeit bodenständig sowie zielorientiert zu bleiben. GRI als Standard bietet die beste und handhabbarste Gesamtstruktur, mit der sich ein Unternehmen strukturieren und die passenden Nachhaltigkeitsmodule für den individuellen Bedarf herausgreifen kann. Viele Unternehmen haben zwar schon einiges gemacht, aber unstrukturiert. Erfolgversprechender ist es, eine Bestandsaufnahme und eine Wesentlichkeitsanalyse zu machen. Eine Wesentlichkeitsanalyse umfasst die Festlegung von Fokuspunkten. Die meisten Unternehmen agieren zwischen 12 und 20 GRI-Unterpunkten, in denen sie konkret handeln und auskunftsfähig sein wollen. Zu diesen Punkten legen sie Strategien fest und gehen dann Schritt für Schritt in die Realisierung.
Warum setzen sie in diesem neuen Lehrgang zusätzlich auf AA1000?
Einer der wichtigsten Schritte besteht darin, die Stakeholder einzubinden. Für ISO 9001-zertifizierte Unternehmen gehört die Identifikation der Stakeholder zwar seit 2015 zu den Pflichtthemen. Bei den Versuchen, diese sinnvoll einzubinden, ist aber bei vielen Unternehmen noch Luft nach oben. AA1000 bietet da gute Anleitung. Ein Beispiel ist, Stakeholder wirklich gezielt zu befragen. Es gab schon Fälle, bei denen sich Stakeholder durch Gießkannen-Befragungen enorm belästigt gefühlt haben.
Welche „Stakeholder“ sehen Sie im Training Sustainability Professional? Ist das was für Vorstände oder eher was für den Beauftragten?
Die Zielgruppe ist relativ breit. Das Training ist wertvoll für die Ein- und Verkäufer, für das Marketing, für Entwicklung, Produktion und Logistik, Controlling und Managementsysteme. Ob nun Führungskräfte und/oder beratende Stellen das Wissen aufbauen, hängt von jedem Unternehmen individuell ab. Davon betroffen sind tatsächlich alle.
Vielen Dank Herr Dr. Sadek! Wir freuen uns sehr auf die Zusammenarbeit.
Im Gespräch: Dr. Sied Sadek
Dr.-Ing. Sied Sadek ist Geschäftsführer der DQS CFS GmbH und Senior Director der DQS Holding GmbH. Mit über 20 Jahren Erfahrung als Auditor für eine Vielzahl von Regelwerken und als Mitglied diverser Normungsausschüsse hat er eine breitgefächerte Kompetenz, die über die einzelnen Standards weit hinausgeht. Seine Kompetenzschwerpunkte liegen in den Bereichen Organizational Health, soziale Verantwortung und Sustainable Leadership.