Ab- und Anreize für Qualität2 | 05 | 25

Meeting mit drei Personen an einem Tisch

Warum stimmt so oft die Qualität nicht? Eine Antwort ist: Weil unbeabsichtigte „Abreize“ die Menschen von ihr ablenken. Abreize, das sind fehlwirkende Anreize, Fehlanreize. Sie werden zumeist versehentlich gesetzt oder entstehen als eigentlich gutgemeinte, aber ungewollt pervertierte Anreize. Ihre Absicht war nie, Qualität nicht oder Nicht-Qualität zu erzielen, doch genau das bewirken sie. Das Wort pervertiert finden Sie überzogen? Die englische Übersetzung von Fehlanreiz lautet „perverse incentive“ – Sprache kann erfrischend direkt sein.

Menschen wollen Qualität leisten …

Menschen haben einen starken Anreiz, Qualität zu erzeugen: Selbstwirksamkeit und Zielerreichung sind die stärksten Motivatoren, die die Forschung kennt. Das führt dazu, dass Menschen unbedingt ein qualitativ hochwertiges Ergebnis erzeugen wollen. Wenn ihnen das systematisch nicht gelingt, ist für sie vielleicht nicht klar geworden, welche Qualitätsanforderungen bestehen. Das dürfte aber relativ selten auftreten und wäre leicht festzustellen und zu beheben. Häufiger tritt auf und viel schwerer wiegt, dass Menschen aktiv davon abgehalten oder abgelenkt werden, Qualität zu erzeugen – eben durch Fehlanreize.

… wenn das Unternehmen Qualität nicht bestraft oder Nicht-Qualität belohnt

Fehlanreize entstehen durch Zielkonflikte oder Paradoxien, durch handwerklich schlechte Belohnungssysteme und Regelwerke, durch unangemessenes Führungs- und Kollegialverhalten. Ein Unternehmen hat mehrere „Anreizsysteme“: Nicht nur ein einschlägiges Ziel- und Inzentivierungssystem inklusive finanzieller Belohnungen ist ein solches, auch Arbeitsbedingungen, Unternehmenskultur, Führungs- und Sozialverhalten sowie Kommunikation bilden Systeme, die für und gegen Qualität Anreize setzen.

Manches auf den ersten Blick unverständliche qualitätsabträgliche Handeln oder Unterlassen lässt sich erst dann begreifen, wenn man die Anreize dafür verstanden hat. Auch für Regelbrüche, die sich positiv, aber auch negativ auf die Produktqualität auswirken können, gibt es zumeist plausible Motivationen und Gründe. So mancher Bruch wird von den Anreizsystemen wirkungsvoll belohnt. Steven Kerr von der Ohio State University hat vor genau 50 Jahren Belohnungssysteme in Unternehmen untersucht und seine Forschungsergebnisse unter dem wundervollen Titel publiziert: „On the Folly of Rewarding A, While Hoping for B“ („Über die Narretei, A zu belohnen, während man sich B erhofft“). Lesenswert!

Anreize und Anreizsystem analysieren

Wer die Vermutung teilt, dass Anreize für qualitätsschädliches Handeln oder Unterlassen bestehen, sollte sie überprüfen und die Anreize und Anreizsysteme des Unternehmens darauf abklopfen. Das könnte auch einmal ein Auditschwerpunkt sein. Allerdings hat das zunächst auch Grenzen, denn wichtige Anreizsysteme, zum Beispiel Inzentivierungssysteme mit finanziellen Belohnungen für Führungskräfte, sind zumeist intransparent, mit allen Risiken und Nebenwirkungen, die das verursacht.

Welche Fehlanreize sind Ihnen in der Praxis bereits begegnet?

1902 versuchten die damaligen französischen Besatzer, eine Rattenplage in Hanoi zu bekämpfen, indem sie einen Cent pro Rattenschwanz auslobten, den die Bürger ablieferten. Daraufhin begannen einige Menschen Ratten zu züchten, ihnen lebendig die Schwänze abzuschneiden, damit sie sich weiter vermehrten. Mehr als nur eine Narretei, wie man sich denken kann. Das ist ein extremes Beispiel, aber von der Art gibt es viele in der Historie.

Welche Fehlanreize sind Ihnen im Laufe ihrer Berufstätigkeit in Unternehmen begegnet? Wir freuen uns, wenn Sie Beispiele unter benedikt.sommerhoff@dgq.de mit uns teilen, und versprechen, dass wir das Thema der Ab- und Anreize für Qualität nutzbringend vertiefen werden.

 

Neues Impulspapier zum Thema „Ab- und Anreize für Qualität“

Zum Thema „Ab- und Anreize für Qualität“ erscheint in Kürze auch ein neues DGQ-Impulspapier von Dr. Benedikt Sommerhoff. Neugierig geworden? DGQ-Mitglieder finden dieses zeitnah in der DGQplus-Mediathek.

Über den Autor: Benedikt Sommerhoff

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Benedikt Sommerhoff leitet bei der DGQ das Themenfeld Qualität & Innovation. Er beobachtet, analysiert und interpretiert die Paradigmenwechsel und Trends in Gesellschaft und Wirtschaft sowie ihre Wirkungen auf das Qualitätsmanagement. Seine zahlreichen Impulse in Form von Publikationen und inspirierenden Vorträgen geben Orientierung in Zeiten des Wandels. Sie ermutigen zur Neukonzeption des Qualitätsmanagements und der Qualitätssicherung. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten des DGQ-Netzwerks aus Praxis und Wissenschaft arbeitet Sommerhoff in Think Tanks und Pionierprojekten an der Entwicklung, Pilotierung und Vermittlung innovativer Konzepte und Methoden.