Qualitäter raus aus dem Hamsterrad – arbeiten Sie an und nicht in der Organisation!5 | 03 | 15

Zahnrad

Wenn ich so höre und sehe, wie reaktiv Qualitätsmanager und QMBs inzwischen arbeiten, dann wird mir angst und bange. Feuerwehraktionen, kurzfristig einberufene Meetings und Reisen, kurz um, viel Reaktionismus – die Woche ist kaum noch planbar. Bestehende Planungen werden täglich über den Haufen geworfen. Daraus folgt aber, dass uns kaum noch Zeit und die notwendige Muße (ja Muße, ich meine das wirklich so) bleiben, konzeptionell, systemisch, nachhaltig, vorausschauend zu arbeiten. Gerade wir, die Systemverantwortlichen, verschleißen und verheddern uns allzu oft am und im Detail, arbeiten uns am Problem des Tages, dem Fehler der Stunde ab. Haben wir damit Erfolg? I wo, wir tragen nur dazu bei, dass Führungskräfte, Prozesseigner, Mitarbeiter jegliche Qualitätsthematik nicht aus eigener Initiative, mit eigenen Ressourcen und eigenen Lösungsansätzen angehen. Viel einfacher ist es, die Q-Feuerwehr zu rufen. Bringt mich irgendwo hin, ich werde überall gebraucht, scheint das Motto vieler Qualitäter zu sein.

Wir müssen mehr an und weniger in der Organisation arbeiten. Wir müssen den Kollegen in den Prozessen eine echte Chance geben, aus ihren Fehlern zu lernen und ihnen die vollständige, umfassende, alleinige Verantwortung für Fehler, Fehleranalyse, Fehlerkorrektur und Fehlerprävention geben. Wir nehmen ihnen das zu früh ab, weil wir es können, ja sehr gut können. Wir konnten Fehlerreduktion lernen, in Theorie und in der Praxis, wurden immer besser darin. Das haben natürlich die Kollegen gemerkt, lehnen sich zurück und – rufen die Tatortreiniger von der Q-Truppe. Aber was soll denn unsereRolle sein, wenn wir das Fehler- und Problemmanagement an die Prozesseigner zurückdelegieren? Wir müssen systemische Voraussetzungen für eine hohe Qualitätsfähigkeit der Organisation schaffen. Dazu gehört auch, ihre Selbstheilungskräfte zu identifizieren und zu stärken. Noch einmal, wir müssen an, nicht in der Organisation arbeiten.

Wir müssen Coaches sein, die den Kollegen helfen, Selbstverantwortung für Qualität kompetent zu übernehmen. Dazu müssen wir aushalten können, dass die Kollegen Fehler machen, Lösungen zunächst nicht erkennen, ohne selbst sofort einzuschreiten. Das zerreißt einige von uns fast, aber nur so entstehen lernende Organisationen und gute Qualitätskulturen. Selbstverantwortung schafft Selbstverantwortung, selber lernen macht schlau. Da muss sich der Besserwisser auch mal auf die Zunge beißen, da kann der Qualitäter nicht für alle erkennbar zum Helden werden. Uns bleibt die stille Freude, wenn es dann mit der Zeit klappt mit der Eigenverantwortung für Qualität und Fehlervermeidung, um den Preis, dass die Kollegen uns sagen, dass sie uns dafür nicht mehr brauchen. Die Organisation braucht uns ja weiterhin. Als besonnene, vorausschauende Organisationsentwickler, die die Qualitätsfähigkeit systemisch steigern helfen. Aber nicht als Feuerwehrleute oder Tatortreiniger. Wer in seinem Verantwortungsbereich ein Feuer entdeckt – oder von anderen gezeigt bekommt – muss es selber löschen.

So, und mit der gewonnen Zeit, machen Sie was Tolles. Lesen Sie über Industrie 4.0 oder digitale Geschäftsmodelle. Machen Sie eine Fortbildung zum Coaching. Entwickeln Sie gemeinsam mit Leitung und Führungskräften Konzepte für die Verbesserung der Ergebnis- und Qualitätsfähigkeit der Organisation. Bereiten Sie sich auf die Revision der ISO 9001 vor, die so klasse unternehmerisch ist und auf viele überkommene Forderungen verzichtet. Gehen Sie mal pünktlich zum Dienstschluss nach Hause und gehen Shoppen mit Ihrem Sohn oder spielen Fußball mit Ihrer Tochter. Machen Sie doch, was Sie wollen – wenn’s dem Unternehmen langfristig nützt und Ihrer Gesundheit zuträglich ist.

Glück auf!

Über den Autor: Benedikt Sommerhoff

Benedikt Sommerhoff leitet bei der DGQ das Themenfeld Qualität & Innovation. Er beobachtet, analysiert und interpretiert die Paradigmenwechsel und Trends in Gesellschaft und Wirtschaft sowie ihre Wirkungen auf das Qualitätsmanagement. Seine zahlreichen Impulse in Form von Publikationen und inspirierenden Vorträgen geben Orientierung in Zeiten des Wandels. Sie ermutigen zur Neukonzeption des Qualitätsmanagements und der Qualitätssicherung. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten des DGQ-Netzwerks aus Praxis und Wissenschaft arbeitet Sommerhoff in Think Tanks und Pionierprojekten an der Entwicklung, Pilotierung und Vermittlung innovativer Konzepte und Methoden.

12 Kommentare bei “Qualitäter raus aus dem Hamsterrad – arbeiten Sie an und nicht in der Organisation!”

  1. 33b84450a10fd199b5d2eedc6bd7e9b2 Jörg Brokmann sagt:

    Die von Dr. Sommerhoff zum wörtlich gemeinten Nachdenken erstellte Diskussionsgrundlage ergänzt hervorragend meinen Leitbildgedanken für das QM in produzierenden Unternehmen.
    Die beschriebene Methode Hamsterrad ist leider viel zu oft alltägliche Praxis und das Verlassen des Rades meist nur Illusion, der aus manigfaltigsten Gründen keine Umsetzung folgt.
    Für mich persönlich liefert der Beitrag eine gute Argumentationsbasis zur konkreteren Definition bevorstehender Einsatzgebiete.
    Vielen Dank dafür, Dr. Sommerhoff!

  2. Benedikt Sommerhoff sagt:

    Freut mich, Herr Brokmann, dass ich Ihre Argumentation unterstütze. Lassen Sie uns bei Gelegenheit wissen, wie Sie bei der Neudefinition vorankommen.
    Beste Grüße,
    Benedikt Sommerhoff

  3. 76bd42cc65b334f82cbefb09f45b81cf Thomas Tobies sagt:

    Die von Herrn Dr. Sommerhoff beobachtete Realität entspricht auch meiner Wahrnehmung. Ich teile auch die Meinung, dass die Hauptaufgabe des QM nicht die „Feuerwehraufgabe“ sein kann, auch wenn wir aufgrund der Ausbildung dafür besonders geeignet sind. Ich bin aber etwas anderer Meinung bzgl. der Ursache für dieses Phänomen.
    Ich sehe, dass heute der Druck auf viele Organisationen so groß ist, dass die entsprechenden Prozessowner gar nicht mehr in der Lage sind ohne Hilfe von Außen (also QM) das Feuer zu löschen. Deshalb bleibt diese Aufgabe bei der „Feuerwehr“ im Unternehmen hängen. Man muss die Frage stellen, ob die in der Norm verankerte „Verantwortung der Leitung“ bzgl. Bereitstellung von Resourcen nicht nur auf dem Papier besteht. Gelebte Praxis ist doch eher der Ansatz die Organisationen so weit zu verschlanken bis die negativen Effekte so groß werden, dass man wieder gegen steuert muss.

  4. Toller Beitrag. Spricht mir persönlich aus der Seele. Leider viel zu oft gängige Praxis in den Unternehmen. Nachhaltige Entwicklung der MA und Qualität ist so nur schwer zu erreichen.

    Meine Überzeugung ist aber auch die, das die Unternehmensstrukturen so gestaltet sein müssen das klar zu erkennen ist wo, wer seine Verantwortungsbereiche hat und das in Problemfällen der MA eine „Bringschuld“ hat.

    1. Benedikt Sommerhoff sagt:

      Ja, das ist schon ein weitreichender kultureller Change, der nicht vom Himmel fällt, sondern erabeitet sein will. Aber an uns liegt es, zu forcieren, dass unsere Unternehmen daran gehen. Vielleicht geht ja was.

  5. Hallo Herr Dr. Sommerhoff,
    der Vergleich mit der Feuerwehr bzw. Tatortreiniger ist sehr passend formuliert- spiegelt er doch teilweise auch das vom Qualitäter anerzogene Unvermögen selbstständig zu agieren. Es hat ja in der Tat auch etwas von Dekadenz den Qualitäter zu rufen… Gerade heute haben wir in einem ähnlichen Kontext die Begrifflichkeit „Schlichtungsausschuss“ gebraucht. Das eigene angehäufte Qualitätswissen erfährt in einigen Situationen eine extreme Entwertung -wenn man mit nicht kompatiblen Ansätzen arbeitet. Hier kann man mittels Schulungen nachbessern – muss jedoch auf Verständnis und Akzeptanz treffen. Sich trotz unwegsamer Rahmenbedingungen auf die Entwicklung der Organisation zu fokussieren halte ich persönlich für einen wichtigen Schritt. Man könnte es auch als den „Roten Faden“ beschreiben, welchen man nicht aus dem Auge verlieren sollte. Gerade bei der praxisnahen Umsetzung von Maßnahmen in Sinne des KVP- sollte man detaillierte Feinziele den Grobzielen vorziehen und analytisch mit den Veränderung des Schnittstellenmanagements umgehen. Ich halte die klare Definition der Zielgröße- Wo will ich hin? für eine unabdingbare Grundlage für die erfolgreiche Umsetzung von Schwerpunktmaßnahmen innerhalb der Organisationsentwicklung.
    Herzliche Grüsse von der Ostsee

    1. Benedikt Sommerhoff sagt:

      Wenn denn bei Schlichtung nicht das schlicht dominiert…

  6. 33b84450a10fd199b5d2eedc6bd7e9b2 Jörg Brokmann sagt:

    „Am Schlichtesten“ ist mir derzeit leider ein Euphemismus…

  7. 471a77ec835b37c4ba704b4bbd44c2ff Anja Bach sagt:

    Ein klasse Beitrag, danke Benedikt!

  8. 2a62782938b63e82a703c0fe2b44b72a Uwe-Klaus Jarosch sagt:

    Sehr geehrter Herr Sommerhoff
    Danke für den motivierenden Beitrag.
    So berechtigt alle ihre Argumente sind, in vielen Fällen hat Herr Thomas Tobies mit dem Druck der Organisation und dem Fehlen (wohl eher Fehlsteuern) von Kapazitäten recht.
    Als einen Ausweg – auch hier nur als systemische Änderung im Unternehmen möglich – bitte ich über die Einforderung eines internen Kunden-Lieferanten-Verhältnisses nachzudenken.
    Wessen Auftraggeber bin ich im Unternehmen? Wessen Auftragnehmer bin ich im Unternehmen? Wie kann ich meinen „Lieferanten“ so führen, dass er mich zufrieden stellt? Wie kann ich meinen internen Kunden zufriedenstellen?

    Dabei erscheinen mir die „3 Regeln“ essentiell:
    – Nimm keine Fehler an.
    – Mache keine Fehler.
    – Gebe keine Fehler weiter.
    Diese 3 Regeln helfen zunächst dabei, sich über die eigene Rolle und Aufgabe im Unternehmen bewusst zu werden – im Sinne der internen Kunden-Lieferanten-Beziehung. Mit diesem Bewusstsein wird dann das Ergebnis des Einzelnen besser und in der Summe kommt das gesamte Unternehmen dem vorgestellten Ziel eines unternehmerischen Gemeinwesens mit selbstverantwortlichen Mitarbeitern ein gutes Stück näher.
    Vielleicht können die Qualitäter auf allen Ebenen in diesem Sinn vordenken, argumentieren und das System verbessern.

    Viel Erfolg.

  9. 17ba7a00fc26dc454c097034cec53a81 Gerda Desinger sagt:

    Große Klasse, Herr Sommernhoff. Eine Ermutigung für alle Quali-Täter, die über ihren Schatten springen möchten. So groß kann der eigene Schatten gar nicht sein, dass man das nicht schafft.

    Herzliche Grüße

  10. a3afcfd58b5c641bc82ebc091754d5a9 Harald Baron sagt:

    Danke für den gelungenen Beitrag – sie sprechen mir aus dem Herzen. Nur teile ich mit ihnen nicht die Selbstverständlichkeit, dass uns Qualitäter „die Organisation ja weiterhin braucht“. Der Alltag spricht meist eine andere Sprache. Auch die Neupositionierung als vermeintlicher Organisationsentwickler, Noch-QM’ler, ehemaliger Qualitätskontrolleur hilft da nicht.

    Ihr vorgeschlagener Weg ist zielführend, mit Mut, Wissen und Vernetzung – was ich allen QM’s zum täglichen Morgenkaffee wünsche.

    Die besten Grüsse aus der Schweiz

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