Digitalisierung durch Corona?8 | 04 | 20

Die Einschränkung des öffentlichen Lebens durch das Coronavirus hat weitreichende Konsequenzen für die Wirtschaft, insbesondere für kleinere Unternehmen. Plötzlich wird jedem bewusst, was für ein sensibles System Bevölkerung, Infrastruktur und Wirtschaft bilden. Ein System, das angreifbar ist.

Risiken und Nebenwirkungen

Kleine Unternehmen sowie lokale Dienstleister sind in diesen Zeiten am stärksten bedroht, da ihre Liquidität ohne entsprechende Umsätze dahinschmilzt. Für viele Unternehmen kann die Corona-Krise das Aus bedeuten. Besonders gefährdet sind Einzelhändler, die bisher auf den Online Lieferservice verzichtet haben. Kleine Industrieunternehmen, die immer noch Papierakten wälzen, verlieren ihre Handlungsfähigkeit, je stärker die Einschränkungen des öffentlichen Lebens werden. Dies ist der geeignete Zeitpunkt, den eigenen Grad der Digitalisierung zu bestimmen und kritisch zu hinterfragen.

Online Dienstleister hingegen, deren Produkte aus digitalen Services, digitalen Produkten und Beratungsleistungen bestehen, können wie gewohnt im Homeoffice weiterarbeiten. Sie werden die Unsicherheit des Marktes natürlich auch zu spüren bekommen, doch sie bleiben handlungsfähig.

Kultur & Homeoffice

Es ist bekannt, dass junge und innovative Unternehmen eine andere Einstellung zum Thema Homeoffice haben, als klassische, konservative Unternehmen. Junge Unternehmen können daher häufig viel einfacher auf Homeoffice Lösungen ausweichen, als Unternehmen, die bezüglich ihrer Digitalisierung auf den hinteren Rängen stehen. Der Arbeitsmarkt, der sich langsam aber sicher mit Spezialisten der Generation Z füllt, schreit schon lange nach Selbstbestimmung bei der Zeiteinteilung und flexiblen Arbeitszeiten, sowie der Möglichkeit im Homeoffice zu arbeiten.

Der finanzielle und organisatorische Aufwand, Homeoffice für alle Mitarbeiter möglich zu machen, scheint dabei nie das Problem gewesen zu sein. Das Problem ist die Unternehmenskultur des Misstrauens, die sich wie ein roter Faden von der obersten Leitung über alle Instanzen zu den Stellen hindurchzieht.

Doch nun scheint die richtige Gelegenheit gekommen, das Thema Vertrauen in Angriff zu nehmen. Plötzlich müssen wir Vertrauen, um weiter arbeiten zu können. Motiviert von äußeren Umständen und Existenzängsten, werden plötzlich halbgare Lösungen operationalisiert, damit das Unternehmen überlebt. Plötzlich ist Homeoffice selbst in konservativen Organisationen möglich. Meist sind dann jedoch die Mitarbeiter mit der neuen Situation im Homeoffice überfordert und müssen sich neu organisieren und ihre Gewohnheiten anpassen.

Dabei hätte es so einfach sein können, wenn Unternehmen in den letzten Jahren ihre Prozesse und Infrastruktur Schritt für Schritt auf Digitalisierungs-Kurs gebracht hätten. Wenn die Mitarbeiter zum selbstständigen und autonomen Arbeiten hingeführt worden wären.

Cloud, Groupware, SaaS

Für viele nicht digitalisierte Organisationen sind Datenbanken schon ein Fremdwort. Bei der näheren Betrachtung der Möglichkeiten, welche die digitale Transformation bereitstellt, stehen plötzlich Begriffe wie Cloud, Groupware, KI und Software-as-a-Service im Raum. Das ist vielleicht zu viel für die ersten Berührungspunkte mit digitaler Arbeit. Dabei ist es kein Hexenwerk, die tägliche Koordination der Arbeit mithilfe von digitalen Technologien zu organisieren. Für die Organisation bringt die digitale Transformation eine Reihe von Chancen:

  • Vermeidung von Doppelarbeiten
  • Vermeidung von Transaktionsfehlern
  • Nahezu lückenlose Dokumentation
  • Aufbau eines teilweise automatisierten Qualitätsmanagementsystems
  • Erfahrungssicherung
  • Automatische Effektivitäts- und Effizienzbetrachtungen, sowie Reporting
  • Beschleunigung & Rationalisierung von Prozessen
  • Automatisierung von manuellen Routineaufgaben
  • Datenverfügbarkeit und Flexibilität

Eine Digitalisierung der Kernprozesse ist dazu nicht einmal zwingend erforderlich. Allein durch die Digitalisierung von Arbeitsorganisation und Kommunikation durch Standardsoftware und Groupware lassen sich erhebliche Einsparungen bei gleichzeitiger Verbesserung der Qualität erzielen.

Digitale Transformation

Digitale Kompetenz geht weit über die Bedienung eines Rechners oder eines mobilen Endgerätes hinaus. Digitales Arbeiten fordert ein höheres Maß an Disziplin eines jeden Mitarbeiters.

Natürlich ist die Einrichtung entsprechender digitaler Kommunikationsmittel nicht von heute auf morgen vollzogen. Aber auch das ist kein technisches Problem. Wenn Mitarbeiter noch nie von zu Hause aus autonom gearbeitet haben, dann ist mit Verunsicherung zu rechnen. Die Verunsicherung ist umso stärker, je ausgeprägter das Mikro-Management der verantwortlichen Führungskräfte ist. Es gilt, das Mikro-Management abzulegen und die Autonomie der Mitarbeiter zu fördern. Instanzen müssen fähig sein, Entscheidungen zu delegieren und Verantwortung abzugeben.

Bei der Delegation kann die Digitalisierung unterstützen. Digital abgebildete Prozesse fördern die Fähigkeit der Mitarbeiter, selbstständig Entscheidungen zu treffen. Zum Beispiel durch:

  • Digitale Wissensdokumentation, die von jedem Ort der Welt verfügbar ist (Unternehmens-Wikis, Datenbanken)
  • Zugang zu abgeschlossenen, vergangenen Fallbeispielen (Reklamationen, Bestellungen, Störungen, usw.)
  • Abbildung von Prozessen durch individuelle Softwarelösungen (z. B. 8D-Report Werkzeuge, ERP Systeme, Produktionsplanungssysteme, usw.)
  • Digitale Dokumentation von Prozessen (OneNote, Datenbanken, Groupware)
  • Fehlervermeidung durch automatische Plausibilitätsprüfungen (Eingabemasken, Visualisierungen)

Mit steigender Verantwortung werden Mitarbeiter verstärkt in die Geschäftsvorgänge eingebunden. Sie identifizieren sich stärker mit den übertragenen Aufgaben und arbeiten motivierter.

Corona-Krise als Chance

So dramatisch die aktuelle Lage auch zu sein scheint, wir können als Gesellschaft und Wirtschaftsgemeinschaft daraus lernen. Unternehmen, die aktiv Risikomanagement betreiben, haben für eine solche Situation vorgesorgt. Alle anderen Unternehmen werden spätestens nach der Krise damit beginnen.

Für viele Organisationen ist die Situation in Corona-Zeiten ein Sprung ins kalte Wasser. Plötzlich müssen Entscheidungen innerhalb von Stunden getroffen werden, für die in der Vergangenheit zahlreiche Managementmeetings und wochenlange Diskussion nötig waren. Es wird an der Zeit, ewiges Überdenken und Diskutieren abzulegen und auf die Umweltereignisse zu antworten.

Es ist Agilität gefragt.

Agilität bedeutet, die Unsicherheit des Marktes fest in der Unternehmenspolitik zu verankern. Organisationen, die in heutigen Zeiten agile Kompetenzen haben, haben es deutlich leichter, sich an die Situation anzupassen. Mit dem richtigen Grad an Digitalisierung, gepaart mit agilen Arbeitsmethoden, lassen sich erhebliche Effizienzsteigerungen erzielen. Und das nicht nur in Zeiten von Corona. Vielleicht können wir ja aus dieser Erfahrung lernen.

 

Dieser Beitrag ist auch auf https://www.q-future.de/blog/ erschienen.

Über den Autor: Hartmut Winkler

Hartmut Winkler ist seit 2016 selbstständiger Unternehmensberater bei Q-Future mit den Schwerpunkten Qualitätsmanagement, Prozessoptimierung und Digitalisierung. Nach seinem Studium der Mechatronik arbeitete er über 10 Jahre im QM der Automobilindustrie und der Luft- und Raumfahrt. Seit 2014 ist er in der akademischen Lehre tätig. Er ist DGQ-Trainer für statistische Fähigkeitsnachweise und Prozessregelung. Seit 2018 ist er Mitglied im Team der DGQ-Regionalkreisleitung Frankfurt am Main.

8 Kommentare bei “Digitalisierung durch Corona?”

  1. 7f73d6f7905b77364eb75cf28b745fd4 Benedikt Sommerhoff sagt:

    Ja, wie in der DGQ und ich perönlich lernen gerade im Tun mehr und schneller über Digitalisierung als je zuvor. Ergänzend zum guten und informativen Beitrag will ich zwei Aspekte in die Diskussion einbringen:
    – Digitales Arbeiten braucht pysische Infrastruktur. Wir müssen viel, wahrscheinlich viel mehr als bisher dafür tun, diese kritsche Infrastruktur stabil, resilient, robust zu machen.
    – Es wurde nun schon viel und trefflich aufgezeigt, dass die digitale Welt nur einigen ein sicheres Arbeiten im Firmenoffice oder sogar Homeoffice ermöglicht. Diese Art zu Arbeiten stützt sich auf viele Niedriglöhner, die transpotieren, liefern, pflegen etc. Wir brauchen ein funktionierendes und für die Menschen faires Zusammenspiel zwischen physischer und digitaler Welt.

  2. Lassen Sie mich als erstes eine Bresche für die Digitalisierung schlagen. Ich denke, dass Digitalisierung unsere Leben ebenso beeinflusst wie die Erfindung der Dampfmaschine. Und das finde ich gut … Doch ist es auch wichtig, die Digitalisierung mit Augenmaß zu betrachten.

    „Kleine Industrieunternehmen, die immer noch Papierakten wälzen, verlieren ihre Handlungsfähigkeit, je stärker die Einschränkungen des öffentlichen Lebens werden … Online Dienstleister hingegen, deren Produkte aus digitalen Services, digitalen Produkten und Beratungsleistungen bestehen, können wie gewohnt im Homeoffice weiterarbeiten.“ In dieser Betrachtung gehen wir davon aus, dass jedes kleine Unternehmen nicht nur mit einer Digitalisierung umgeht, sondern diese auch zur Erfüllung des Geschäftszwecks einsetzen muss. Diesem ist aber eben nicht so. Inwieweit ein kleines oder mittelständisches Unternehmen Digitalisierung zur Optimierung seiner Kernprozesse nutzen sollte, ist doch eigentlich von den kernprozessen abhängig. Ich denke, dass mein Änderungsschneider hier im Hause nicht mit einem Online-Dienstleister vergleichbar ist. Da aber auch eine Nähmaschine tragbar ist, kann hier ebenso Home-Office umgesetzt werden. Küchen für die Versorgung von Schulen und Kindergärten können aktuell auch bei höchster Umsetzung der Digitalisierung ihre Kernprozesse nicht mehr aufrecht erhalten.

    „Allein durch die Digitalisierung von Arbeitsorganisation und Kommunikation durch Standardsoftware und Groupware lassen sich erhebliche Einsparungen bei gleichzeitiger Verbesserung der Qualität erzielen“. Die mit dem Lock-Down verbundene Wirtschaftskrise führt bei vielen kleinen Unternehmen derzeit zu deutlichen finanziellen Einbußen. Die Optimierung der Prozesse durch Digitalisierung bedeutet auch eine Investition in die Digitalisierung. Software, Rechentechnik, Lizenzgebühren. Allein für einfache Softwaremodule aus dem bekannten Office-Segment heraus, werden hier schnell 1000 Euro pro Arbeitsplatz und Jahr fällig. Geld, welches durch die Kernprozesse erst einmal erwirtschaftet werden muss. Digitalisierung bringt viele Vorteile … doch eine Krise ist im Normalfall kein wirklich guter Zeitpunkt, seine Prozess neu zu modellieren. Oder sehen Sie das anders?

    1. Vielen Dank für Ihr Kommentar.
      Es ist richtig, dass aktuell nicht jedes kleine Unternehmen die Digitalisierung zur Erfüllung Ihres Geschäftes benötigt. Dennoch entstehen durch die Nutzung von digitalen Technologien auch für den Schneider um die Ecke und den klassischen Caterer Chancen, die diese Unternehmen nutzen können.
      Der Schneider kann auf seiner Website online Aufträge entgegennehmen, ggf. die Maße der Stammkunden in seiner Datenbank speichern, wodurch erhebliche Kostenvorteile für den Schneider und ein ausgezeichneter Service für den Kunden entstehen. Alles mit einem Minimum an Kundenkontakt in diesen Zeiten. Der verbesserte Service bleibt auch jenseits der Corona-Krise vorhanden. Ich sehe das sehr wohl als Chance.

      Um Ihre Frage zu beantworten: Ja, in genau diesen Zeiten sollten Unternehmen sich die Zeit nehmen (die sie ja haben, da die Geschäfte geschlossen sind) um an Ihrer Strategie zur digitalen Transformation zu arbeiten. Das heißt nicht, dass diese Firmen umgehend erhöhte Ausgaben für Infrastruktur und Lizenzmodelle tätigen müssen. Die Sicherstellung der Liquidität ist vorrangig.

      Digitalisierung beginnt mit der Erstellung eines Anforderungskataloges, der mögliche Vereinfachungen des betrieblichen Alltags sowie Chancen skizziert. Das geht in einem ersten Schritt noch mit einfacher EDV, über die jeder Betrieb verfügen sollte.
      Die anschließende Umsetzung ist dann zwar kostenintensiv und muss geplant werden, aber dient, wie man jetzt sieht, auch dem Business Continuity Management.
      Das Hinterfragen von gewohnten Prozessen kostet hingegen zunächst nur Zeit und die Bereitschaft, sich kontinuierlich anzupassen und zu verbessern.

      Hartmut Winkler

      1. d5e3683150b5c70dbf53d5d2138b2922 Siudzinski sagt:

        Vielen lieben Dank für die ergänzenden Sätze. 🙂

  3. acc72a404cd35fc5c9e1cf78153ccf5a Oligo sagt:

    Finde es auch jeden Fall gut, dass nun mehr Unternehmen eine Digitalisierungsstrategie verfolgen. Gerade in der heutigen Zeit ist das notwendig, nur viele wollten es nicht erkennen.

    1. Vielen Dank für Ihr Kommentar. Es ist für viele Unternehmen an der Zeit zumindest eine digitale Strategie zu entwickeln und Chancen und Gefahren aus der Umwelt zu analysieren. Was hat man schon zu verlieren, wenn man als Unternehmen hier und da ein paar kleinere Digitalisierungsprojekte startet, die die tägliche Arbeite erleichtern und auf Dauer Geld sparen?

  4. Diese „Lüge“ ist leider sehr verbreitet, dass Corona zur Digitalisierung beigetragen hat. Ausser zu ein paar Webshops, VPNs und Laptops für Mitarbeiter hat sich wenig verändert. Prozesse, Geschäftsmodelle, Strategien, Ausbildung der Mitarbeiter uvm. hat sich überhaupt nicht verändert

    1. Vielen Dank für Ihren Input. Sicherlich trifft das, was Sie schreiben, auf manche Unternehmen zu. Insbesondere unter der Berücksichtigung, dass viele Unternehmen „überrollt“ wurden von der Arbeit aus der Distanz. Da steht natürlich die technische Beschaffung zunächst mal im Vordergrund. Dennoch denke ich, dass viele Unternehmen Ihre Komfortzone verlassen mussten und einen ersten, wenn auch kleinen Schritt gewagt haben. Selbst den Mitarbeitern ein wenig Vertrauen bei der Arbeit im Homeoffice zu schenken, ist schon ein guter Anfang.

      Andere Unternehmen, z.B. in der Bildungsbranche, haben Ihren Unterricht online durchgeführt, was vorher ein nahezu undenkbaren Szenario gewesen wäre.

      Ich denke eine Pauschalisierung ist hier nicht möglich. Ich habe im vergangenen Jahr teilweise ähnliche Eindrücke wie Sie erhalten. Teilweise konnte ich jedoch einen erfreulichen Trend sehen, was Sensibilisierung und interne Diskussionen zum Thema Digitalisierung betreffen.

      Es wird ein langer Weg werden. Doch vielleicht haben wir in dieser Kriese den ersten, bekanntlich schwersten, Schritt gemacht.

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