Innovation: Es werden zu wenig Fragen in Unternehmen gestellt!

Innovationen können viele Gestalten annehmen. Doch egal, ob es sich dabei um neue Produkte, neue Prozesse oder neue Vertriebswege handelt – sie treiben Unternehmen voran und sichern ihnen Wettbewerbsvorteile. Doch um eine Unternehmenskultur entstehen zu lassen, die Innovationen hervorbringt, müssen Handlungsspielräume geschaffen und Mitarbeiter zum neu denken motiviert werden. Das scheitert leider nicht selten an Führungskräften und der Angst vor Fragen.

Führungskräfte haben anscheinend die Annahme, etwas schnell und spontan entscheiden zu müssen und nehmen sich oft genug nicht die Zeit, etwas zu hinterfragen und Zusammenhänge zu erkunden. Karrieren scheinen von schnellen Antworten abzuhängen, denn diese verkörpern in den Köpfen vieler immer noch Stärke, Durchsetzungskraft und Lösungsorientiertheit. Dabei liegen genau hier Risiken. Silo-Denken und nicht beachtete, im Organisationssystem liegende, Stolpersteine und Faktoren sowie indirekt wirkende Prozesse werden dabei nicht berücksichtigt.

Handlungsdruck kann auch durch eine paradoxe Verantwortungsanweisung entstehen. Hier entsteht ein Dilemma zwischen Funktionsträgern von Hierarchieebenen. Es wird von Ihnen erwartet, dass schnell etwas entschieden wird. Wenn die Entscheidung dann gefallen ist, war es doch nicht der gedachte Entscheidungs- und Handlungsspielraum aus der Sicht der nächst höheren Führungskraft. Fragen Sie beim nächsten Mal nach, erhalten Sie womöglich die Aussage: „Kommen Sie doch nicht mit jedem Kleinkram und fragen“. Betroffen von einer solchen Problematik sind in der Regel Führungskräfte der unteren und mittleren Führungsebene. Und selbstverständlich auch Qualitäter! Oft genug wird dieses Dilemma zur persönlichen Konfliktsituation, wenn keine unangenehmen Fragen gestellt werden „dürfen“. Also Fragen zur grundsätzlichen Befugnis oder gar eine Vertrauensfrage. Hier nicht klärende Fragen zu stellen, verschärft das Dilemma.

Denn tatsächlich machen gerade Fragen und die passenden Werkzeuge aus dem Qualitätsmanagement den Weg für Lösungsmöglichkeiten und Innovationen frei. Sorgen dafür, dass nicht schon Antworten gefunden werden, wo es noch gar keine Frage gab. Und Maßnahmen beschlossen werden, ohne wirklich nach Ursachen zu forschen. Dass Gründe gefunden werden, die jedoch keine im System liegenden Zusammenhänge herstellen. Oder das Syndrom „Weitermachen wie bisher“ den Alltag beherrscht.

Gründe, aus denen es nützlich sein kann, unangenehme Fragen zu stellen:

  • Unangenehme Fragen schubsen aus Gewohnheit und Bequemlichkeit heraus und lösen den Klebstoff der Komfortzone.
  • Besteht ein drängendes Bedürfnis zur Harmonie (in der es übrigens kaum je eine wirkliche Weiterentwicklung oder Innovation geben kann), sammeln sich die ungeklärten Fragen, Annahmen und Gedanken-Konstrukte als Beulen unter dem Teppich. Irgendwer stolpert dann darüber.
  • Sinnhaftigkeit braucht Fragen! (Das WARUM des aktuellen Denkens, Fühlens, Handelns wird klarer!)
  • Die Lösungssuche zu Problemen erfolgt über (unangenehme) Fragen.

Und wozu das alles? Was kann dadurch besser sein? Und was ist eigentlich das Ziel?

  • Ein nachhaltig erfolgreiches Unternehmen.
  • Den Fachkräftemangel durch ein Marketing von Innen bewältigen. Eine Fragen-Kultur zeugt von Offenheit.
  • Mitarbeitende sind Qualitäter und denken für das Unternehmen.
  • QM-Bürokratie wird durch Sinnhaftigkeit abgelöst.

Als Dozentin oder in Workshops fordere ich kontinuierlich zum Fragen auf. Und oft genug bin ich irritiert, weil es scheinbar keine Fragen gibt. Und das nicht, weil es verstanden wurde, sondern weil das Hinterfragen, das Durchleuchten einer Situation oder eines Themas so ungewohnt ist. Im bestehenden Schulsystem ist das (kritische und konstruktive) Hinterfragen eher nicht vorgesehen. Es wird sukzessive ausgetrieben. Denken und Lernen in Zusammenhängen, Hinterfragen nach dem Nutzen des verabreichten Wissens findet kaum oder nicht statt. Neben anderen Kompetenzen wäre also das Fragenlernen erstrebenswert. In Ausbildungen sollte es unterstützt werden. Wenn Azubis mit möglicherweise frischem Wissen in einen Betrieb kommen, gleichen Sie das theoretische Wissen mit dem ab, was sie vorfinden. Bei Fragen zu den bestehenden Unterschieden erhalten sie oftmals unbefriedigende Antworten: „Theorie ist das Eine, Praxis das Andere!“, „Das machen wir schon immer so!“, „Frag nicht, mach einfach!“. Dabei ist diese immer wieder stattfindende Situation eine gute Übung für Betriebe sich selbst wieder in Prozessen und Regularien zu hinterfragen.

Die unangenehmen Fragen helfen, ein WARUM mit anschließenden Lösungen zu finden. Und danach geht es an Strukturen und Prozesse.
„Och neee!“ Höre ich da. „Klingt anstrengend!“ Höre ich da. „Was das wieder kostet!“ Höre ich da.
Unbequeme Fragen schubsen aus der gewohnten Komfortzone. Da wird es schon mal unbequem.
Und in Bezug auf Kosten: Versuchen Sie doch mal zu erfassen, was es kostet, keine Fragen zu stellen und so weiter zu machen wie bisher (in finanziellem direkten Aufwand, Zeit, Energie, Nerven). Zu den Qualitätskosten können Sie zählen:

  • Fehl- und Blindleistung
  • Fluktuation und Krankenstände
  • Qualitätsmängel
  • stummer Widerstand, wenig Compliance
  • stagnierende Entwicklung
  • Formalbürokratie statt Engagement mit sinnhaften akzeptierten Regeln
  • Wissen und Kompetenz liegt in wenigen Händen/Köpfen

Es ist keine Führungsschwäche, Fragen zu stellen oder Fragen zuzulassen. Es zeugt von der Bereitschaft, Lern- und Entwicklungsräume zu gestalten. Wissen und die entsprechende Haltung braucht es aber schon dazu. Und dann hat Innovation auch den nötigen Raum.

Wie ist die Pflege zu dem geworden, was sie ist?

Um das Heute zu verstehen, ist es wichtig, einen Blick auf das Gestern zu werfen. Auch beim Thema Pflege haben der gesellschaftliche Kontext und der zugehörige Zeitgeist eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Branche gespielt. Die historische Rückschau mit soziologischem Blick hilft dabei zu verstehen, wie die Pflege zu dem geworden ist, was sie heute ist.

Die berufliche Ausbildung, die in ihrem Ursprung zunächst nur für gewerbliche/handwerkliche Bereiche da war, blickt auf eine lange Historie steter Weiterentwicklung zurück. Handelte es sich hierbei ursprünglich um eine erzieherische Lebensgemeinschaft, bei der das Kind, das ausgebildet wurde, in das Eigentum der Lehrherren überging, entwickelte es sich über die Jahre und Jahrhunderte immer weiter. 1897 wurde das duale Prinzip der Berufsausbildung – praktische Ausbildung im Betrieb, theoretischer Unterricht in der Berufsschule – erstmals festgeschrieben. Eine grundlegende Überarbeitung erfuhr diese Struktur in den 1970er Jahren und seitdem fortlaufend, je nachdem, was seitens der Wirtschaft gefordert wurde. Hervorzuheben ist hierbei, dass die Initiative zur Weiterentwicklung stets aus der jeweiligen Branche selbst kam und die Anpassungen entsprechend der aktuellen gesellschaftlichen und fachlichen Bedarfe erfolgte.

Die soziale Dienstleistung und das Lehren dieser hat da eher eine junge Geschichte. Die Geschichte der Altenpflege ist über viele Jahrhunderte mit der der Krankenpflege verknüpft. Mit dem Unterschied, dass Krankenpflege in Hospizen/Hospitälern stattgefunden hat und mit mehr oder weniger gut ausgebildeten Menschen gehandhabt wurde. Alte, demente und sterbende Menschen wurden über die Familie versorgt oder über wenige Siechenheime. Und das bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts!

Mit der Veränderung der gesellschaftlichen (Lebens-) Bedingungen wurde ein erhöhter Bedarf an Versorgung deutlich. Die Menschen in der Nachkriegszeit, mit Aufbau und Arbeit befasst, hatten immer weniger Möglichkeiten, eine Versorgung in der Familie sicherzustellen. Also nahm die Zahl der Einrichtungen zu, die unter der Leitung von Krankenpflegekräften geführt wurden. Für die Versorgung selbst waren Hilfskräfte mit geringen Kenntnissen zuständig. Die Ausbildungen dauerten wenige Wochen bis höchstens sechs Monate.

Erst in den 60er Jahren fing die Politik an, sich mit den Notwendigkeiten der Professionalisierung in der Altenpflege zu befassen. Mit einer 1,5 Jahre dauernden Ausbildung, noch auf privater Basis angeboten, begann in den 70er Jahren das Berufsbild der Altenpflege zu entstehen. Dieser sehr junge Ausbildungsberuf hat erst 2003 eine bundesweit einheitliche Regelung erfahren. Entgegen der Entwicklung bei den handwerklich/gewerblichen Berufen gibt es also keine lange Geschichte und gewachsene Tradition. Es hat kein gesellschaftlicher Reifeprozess stattgefunden. Das aus den Standesorganisationen im Handwerk übernommene Standesbewusstsein ist nicht oder nur gering vorhanden. Eine Entwicklung aus eigener Kraft fand noch nie gesamtgesellschaftlich statt. Und wenn, dann nur vereinzelt mit modellhaftem Charakter. Bisher wurden alle Entwicklungsschritte über die Politik eingeleitet. Jedes Mal, wenn Missstände sehr auffällig wurden, gab es eine neue verpflichtende Regel (Gesetz, Verordnung, u. a.) und Kontrollmechanismen. Die Pflege hat sich dabei als Branche sehr zurückgehalten, es meist nur entgegengenommen.

Wer jetzt wiederum nur Forderungen an die Politik stellt, ohne seine Hausaufgaben gemacht zu haben, macht das Falsche immer falscher. Zu den Hausaufgaben gehört eine werteorientierte Personalführung, Investition in Fortbildung zur persönlichen Entwicklung, Supervision und Coaching, und vor allem ein anderes Grundverständnis für ein Qualitätsmanagementsystem. (Die Altenpflege ist z.B. die einzige Branche, in der das „QM“ ausschließlich in den Kernprozessen vorkommt.)
Wenn man sich die Besetzung in den bestehenden Pflegekammern anschaut, kommen z. B. in Rheinland-Pfalz ca. 80% der dort sitzenden Menschen aus der Krankenpflege. Die Altenpflege hat es vorgezogen, sich zurückzuhalten oder gar zu verweigern. Dieses Instrument auch als Standesvertretung für sich zu nutzen, wurde nicht in Betracht gezogen.

Und ja, es gibt Ausnahmen! Verantwortliche in den Organisationen, die sich auf den Weg gemacht und den zur Verfügung stehenden Rahmen genutzt haben. Diese Führungskräfte haben strategisch gedacht und Maßnahmen im kontinuierlichen Verbesserungsprozess zur Unternehmensentwicklung eingeleitet. Doch leider bleiben es meist Ausnahmen.

Ein bisschen Licht am Ende des Tunnels gibt es aber schon. Wer sich bei Instagram umschaut, wird unter dem Stichwort „Pflege“ Accounts von „jungen Wilden“ entdecken. Es besteht also noch Hoffnung, dass sich vielleicht doch etwas von Innen, aus eigenem Antrieb heraus, ändert. Denn das ist, systemisch gesehen, der nachhaltige Weg.