Sieht so aus10 | 06 | 16

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An dieser Stelle meckert der Autor gern am laxen Umgang mit der deutschen Sprache herum. Es gibt aber Situationen, da ist man tatsächlich besser dran, wenn man sich mit dem Deutschen doch nicht so gut auskennt. Zum Beispiel dann, wenn man das Gesagte falsch verstehen muss, damit es richtig rüberkommt.

In einem Betrieb, der elektronische Bauteile herstellt: Auditor zum QMB: „Der rote Behälter dort, was ist da drin?“ QMB: „Ich denke, es sind Relais, ich werde vorsichtshalber beim zuständigen Mitarbeiter nachfragen.“ Mitarbeiter: „Ja, das sind Relais, aber sie sind defekt.“ Auditor: „Woran erkennt man, dass die Dinger nicht funktionieren?“ Mitarbeiter: „Von außen sieht man es nicht, man erkennt es aber daran, dass sie sich in dem roten Behälter befinden. Defekte Relais sammele ich immer in solchen roten Behältern, da kann ich sie nicht mit den funktionierenden Teilen durcheinanderbringen.“ Auditor: „Aha, und wenn Sie plötzlich ausfallen, woran erkennt dann Ihre Vertretung, dass die Teile in dem roten Behälter defekte Teile sind?“

Das sieht nach Abweichung aus

Der Auditor weist den QMB samt Mitarbeiter darauf hin, dass mindestens der Behälter eindeutig beschriftet werden muss, und zwar am besten noch heute. Er sagt, er würde später noch einmal kommen, um die Umsetzung zu überprüfen. Das ist eigentlich nichts Aufregendes. Zwar hat der Auditor die fehlende Beschriftung als Abweichung gewertet, aber die kann ja flott behoben werden. Als jedoch der Auditor wie angekündigt am selben Tag zusammen mit dem QMB noch einmal an dem fraglichen Arbeitsplatz vorbeischaut, ist der rote Behälter verschwunden, der Mitarbeiter werkelt gerade an seiner Maschine. „Und“, fragt der Auditor, „was ist mit dem Behälter?“ Mitarbeiter: „Ich habe ihn zum Beschriften weggegeben, aber gerade ist die Maschine stehengeblieben, die muss ich erst wieder in Gang bringen, ich kann den Behälter erst morgen wieder holen.“

Darauf der Auditor zum QMB: „Der Behälter ist nicht da, scheinbar hat er das mit der Beschriftung erledigt. Wir müssen jetzt aber weiter, es ist schon spät.“ Wenn der QMB kein ausgewiesener Fachmann für Deutsch ist, sagt er erleichtert: „Na prima, dann lassen Sie uns doch flott in den dritten Stock gehen, die oberste Leitung wartet bereits.“ Aber wenn er damals in der Schule doch etwas besser aufgepasst hat, sollte ihm erst einmal der kalte Schweiß ausbrechen: „Entschuldigung, ich kann das jetzt auch nicht bestätigen, ich verspreche Ihnen aber, ich werde die Sache gleich morgen früh überprüfen und ggf. in Ordnung bringen.“

Anscheinend richtig falsch

Was ist passiert? Der Auditor, fachlich durchaus kompetent, hat leider zwei Wörter verwechselt, „scheinbar“ und „anscheinend“. Eigentlich hätte er sagen müssen „… anscheinend ist die Sache erledigt“, denn er ging davon aus, dass die Sache wirklich erledigt ist – jedenfalls legt das der Satzduktus nahe. Wörtlich gesagt hat er aber das Gegenteil. Woran liegt das? Das Wort „scheinbar“ bedeutet das Gegenteil von „anscheinend“. Viele denken aber, dass es keinen Unterschied gibt und wählen dann meist „scheinbar“, weil es sich flüssiger sprechen lässt.

Der Hintergrund ist: Das Suffix „-bar“ macht aus einem Verb ein Adjektiv. Dieses drückt dann aus, dass die Aktion, die in dem Ursprungsverb angelegt ist, auch ausgeführt werden kann, „ausführbar“ ist: brennbar = kann brennen, lesbar = kann gelesen werden, lieferbar = kann geliefert werden …, ggf. unterschieden nach Aktiv und Passiv. In unserem Beispiel benutzt der Auditor das Wort „scheinbar“ = kann scheinen; es drückt also aus, dass etwas nur so aussieht, als ob. Das Wort „anscheinend“ hingegen ist ein Adverb. Man benutzt es immer dann, wenn man ausdrücken will, dass etwas sehr sicher so ist, wie es scheint.

Und wenn der Auditor gesagt hätte: „Scheinbar hat er das mit der Beschriftung nicht erledigt.“ Das wäre dann eine doppelte Verneinung – „scheinbar nicht gemacht“ bedeutet „anscheinend gemacht“. Denn es sieht ja nur so aus, als hätte er es nicht gemacht. Ein mit dem Deutschen perfekt vertrauter QMB hätte im Zweifel natürlich gleich zurückfragen können: „Sie meinen doch sicher ,anscheinend‘, nicht wahr, Herr Auditor?“ Aber als höflicher Mensch wird er darauf wohl lieber verzichtet haben. Wenn aber der QMB den Fehler überhaupt nicht bemerkt, fährt er in jedem Fall am besten.

 

Über den Rezensenten: Peter Blaha

Peter Blaha, geboren 1954 in Frankfurt am Main, ist freier Journalist mit Spezialisierung auf „Managementsysteme“ und „Weinwirtschaft“ und DGQ-Mitglied. Er widmet sich neben der Erstellung von Fachbeiträgen seit jeher (und mit Vorliebe) dem nach seiner Meinung oft viel zu wenig beachteten Phänomen unklarer bis kurioser Formulierungen und Schreibweisen in der deutschen (Q-)Sprache. Wer dabei eine gewisse Nähe zur Argumentation des bekannten Journalisten Wolf Schneider zu erkennen glaubt, liegt nicht ganz falsch.

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