Echt nur Korinthen?2 | 11 | 15

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„Der I SGB III definiert Ziele der Arbeitsförderung.“ Bitte? Richtig, es fehlt der Hinweis darauf, um was es sich bei der Nummerierung genau handelt. Nur Kundige werden an den drei Buchstaben „SGB“ erkennen, dass hier ein Paragraf aus dem „Sozialgesetzbuch“ etwas definiert. Das ist aber ein konstruiertes Beispiel, denn es wird kaum jemand ernsthaft auf die Idee kommen, das Paragrafen-Zeichen in einem Text einfach wegzulassen.

„Die ISO 9001:2015 ist am 15. September erschienen.“ Fehlt da nicht auch etwas? Ja, das Wort „Norm“ gehört da noch hin. QM-Kundige haben aber natürlich sofort erkannt, was hier gemeint ist. Lässt man den Hinweis auf den Herausgeber der Norm auch noch weg, was manche sehr QM-Kundige hin und wieder fertigbringen, bleibt eine kleine Rechenaufgabe übrig, Ergebnis: 4,4669975… (jedenfalls für Menschen, die die auch nicht komplett unwichtige Norm DIN 5008 nicht so genau kennen).

Flapsig dahingesagt in einem Kreis wissender Qualitätsmanager – bitte sehr. Aber geschrieben, für die Öffentlichkeit? Man könnte jetzt einwerfen, dass aber doch jeder weiß, was „ISO 9001“ ist. Wer ist jeder? Vor einiger Zeit habe ich in einem Provinzblatt im Zuge der Berichterstattung über die Zertifizierung eines lokal bedeutenden Mittelständlers nach unser aller Qualitätsnorm folgenden Satz gelesen: „Geschäftsführer Jürgen Mayer hob in seiner Rede die Bedeutung des Zertifikats für die Mayer KG hervor und betonte, dass die ISO 9001 heute für jedes Unternehmen eine unabdingbare Voraussetzung ist für …“, wofür, das wollten die Leute dann gar nicht mehr wissen, weil sie – als doofe Leser – ja bereits bei „der ISO 9001“ dichtgemacht haben.

Soweit das „Verständnis-Argument“. Es gibt aber auch noch ein formales: Nummerierungen kann kein Geschlecht zugeordnet werden (im Gegensatz zu Zahlen). Es braucht einen Bezug. Der Paragraf I SGB III, die Norm ISO 9001, der Flug LH 1234, die Straßenbahnlinie 7. Sicher, der Bub darf an der Haltestelle zu seinem Vater sagen: „Guck, da kommt die 7.“ Das fügt sich zweimal gut. Der Vater weiß genau, was der Bub meint, und die 7 ist ja auch ohne das Wort Straßenbahnlinie „die 7“. Spätestens am Bahnhof läuft es dann aber aus dem Ruder: „Achtung am (Gleis) 5! Es fährt ein der (ICE) 234 aus Hamburg!“ Der 234 fährt ein am 5 – klingt seltsam, weil man erst einmal überlegen muss, was der Ansager überhaupt will – und auch, weil Zahlen üblicherweise weiblich sind.

„Die Norm ISO 9001 wurde einer Revision unterzogen. Der internationale Qualitäts-Standard ist am 15. September veröffentlicht worden. Die Anwender sind gespannt, wie sich das Regelwerk in der Praxis bewähren wird.“ Also auch „der/das ISO 9001“? Es heißt doch der Standard, das Regelwerk? Aber: Müssen wir überhaupt immer „die Norm ISO 9001“ sagen? Nein, man kann (oder sollte sogar) „die Norm“ weglassen, wenn klar ist, was gemeint ist, z. B. weil „die Norm ISO 9001“ am Anfang eines Beitrages bereits einmal so genannt wurde. Dann kann es folgendermaßen weitergehen: „Es wurden weltweit schon über eine Million Zertifikate nach ISO 9001 ausgestellt“ (nicht: nach „der“ ISO 9001). „ISO 9001:2015 enthält eine Reihe neuer Forderungen“ (nicht „die“ ISO 9001 enthält).

Und wie ist es z. B. mit „der ISO/TS“, wie die Technische Spezifikation der ISO für den Bereich Automotive unter Fachleuten abgekürzt wird? Wenn man hinnimmt, dass es außer der Zuordnung 16949 noch andere gibt (z. B. ISO/TS 29001 für die Petro-Industrie) – okay, man ist ja unter sich. Und warum geht das jetzt auf einmal mit dem bestimmten Artikel vor der Nummerierung? Weil mit dem Kürzel „TS“ die Technische Spezifikation in der Nummerierung bereits enthalten ist – „die ISO/TS“ ist also formal korrekt, wenn auch für Unbeteiligte lupenreiner Jargon (dasselbe gilt für DIN SPEC). Gäbe es ein allgemein gültiges Zeichen für Normen, wie es mit § bei den Paragrafen der Fall ist, wäre man fein raus. Allerdings müsste man das Zeichen dann immer mitlesen!

Das Kürzel „ISO“ muss manchmal fälschlicherweise dafür herhalten, das heißt aber, wie wir ja wissen, etwas ganz anderes. Bei „EN“ (Europäische Norm) geht es, weil die Norm in „EN“ genannt wird. Und bei „DIN“? „DIN“ heißt in einer Norm-Nummerierung (wie sonst auch) „Deutsches Institut (für) Normung“, weshalb eine DIN-Norm (z. B. o. g. DIN 5008) genau genommen (und etwas holprig) eine „Deutsches-Institut-(für)-Normung-Norm“ ist, das Wort „Norm“ in DIN also nicht enthalten ist und somit unmöglich als „die DIN 5008“ bezeichnet werden kann. Die Norm DIN 5008 ist übrigens zuständig für „Schreib- und Gestaltungsregeln für die Textverarbeitung“ …

 

Über den Autor: Thomas Votsmeier

Dipl. Ing. Thomas Votsmeier ist Leiter "Normung/Internationale Kooperationen" und seit 1998 bei der DGQ tätig. Er engagiert sich in verschiedenen Fachgremien bei der European Organisation for Quality (EOQ), der International Personnel Certification Association (IPC), dem Deutschen Institut für Normung und International Standard Organisation (ISO). Unter anderem ist er Obmann des DIN NA 147 – 00 – 01 AA Qualtitätsmanagement und Mitglied bei ISO TC 176.

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